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Nizza - mon amour (German Edition)

Nizza - mon amour (German Edition)

Titel: Nizza - mon amour (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Einnahmen Bücher zu bestellen. Hinter dem Haus lag ein riesiges Gelände von Wiesen, Baumgruppen, Obst-und Nußbäumen, und im Hintergrund ragten hohe Berge auf. Auch Mandelbäume gab es, und niemand war da, die Früchte zu ernten.«
    Alfred Kantorowicz wurde noch nach Kriegsende, inzwischen Professor für neueste deutsche Literatur an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin und Direktor des Heinrich-Mann-Archivs, nicht müde, freundschaftlich-spottend auf den Anachronismus hinzuweisen: Kurz vor der Machtübernahme hatte sich Lion Feuchtwanger eine prachtvolle Villa in Berlin-Grunewald bauen und mit erlesenen Antiquitäten ausstatten lassen – vor allem aber eine viele tausend Bände umfassende, kostbare Bibliothek eingerichtet. Das alles mußte er verlassen – und baute sich dasselbe noch einmal in Frankreich auf, bis die Nazis auch dorthin kamen und er auch das verlassen mußte.
    Kantorowicz, in den zwanziger Jahren Paris-Korrespondent der Vossischen Zeitung, im Exil Begründer der »Deutschen Freiheitsbibliothek« und, neben Arthur Koestler und Alexander Abusch, Mitarbeiter an Willi Münzenbergs im Pariser Exil entstandenen »Braunbuch« über den Reichstagsbrand, schildert sein bei Feuchtwanger gefundenes Obdach weniger prunkvoll; nach einer Bahnfahrt in Handschellen wurde der von den Franzosen inhaftierte Hitler-Gegner freigelassen, weil man nicht wußte, wohin mit ihm: »Mais personne ne le veut«, niemand will ihn haben. Viel mehr als Tee und Brot hatte auch der »Erfolgs«-Autor Feuchtwanger dem Freund und Gast nicht zu bieten: »Als es um die Weihnachtszeit sehr kalt wurde, begannen wir, die Regale von Feuchtwangers Bibliothek zu verheizen – die Bücher waren schon in vielen großen Kisten abtransportiert worden und irgendwo gelagert; sie erreichten den Besitzer erst nach dem Ende des Krieges in seinem Haus in Kalifornien.«
    Man kann sich wohl die Lebens-und Arbeitssituation der Emigranten in ihrer »Kolonie« Sanary nicht nur widersprüchlich, auch spannungsgeladen genug vorstellen. Das waren ja keineswegs Freunde, eher vom Sturm des Schicksals zusammengewehte literarische Gegner: Kerr hat Brecht und Piscator zeitlebens abgelehnt; Piscator wiederum das dramaturgische Konzept Friedrich Wolfs; Joseph Roth, in einem Brief von Nizza nach Nizza an René Schickele, verschloß sich scharf gegen das leiseste Schweigen oder Vergeben Mitläufer-Kollegen gegenüber und schrieb: »Seit wann ist es so, daß ein Schriftsteller sagen darf, ich muß lügen, weil meine Frau leben und Hüte tragen muß?« Ludwig Marcuse hatte den Kommunisten Kantorowicz verhöhnt, und auch Annette Kolb und Alma Mahler-Werfel waren nicht zwei Damen beim Tee. Der ebenfalls nach Saint-Cyr bei Sanary geflüchtete Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe war gar nach Rapallo gefahren, weil er nicht begreifen und akzeptieren konnte, daß sein ältester Freund Gerhart Hauptmann – »In diesem Mann war Gott«, hatte der über Hindenburg gesagt – die Eröffnung der Reichskulturkammer durch seine Anwesenheit legitimiert und nach einem Hitler-Empfang gesagt hatte, dies sei der glücklichste Moment seines Lebens gewesen.
    Hauptmann hatte dem entsetzten Meier-Graefe die Hitler-Bewegung papal verschönt: »Das ist ein Naturgeschehen. Kannst Du gegen einen Wasserfall anschwimmen?« Ganz der Herr Peeperkorn aus dem »Zauberberg«. Thomas Mann seinerseits konnte Werfel nicht ausstehen und der wiederum Feuchtwanger nicht.
    Die meisten deutschen Emigranten wußten nicht, wovon sie leben sollten. René Schickele, vor 1933 immerhin Mitglied der Preußischen Akademie, war dem Verhungern nah und mußte die »American Guild for Cultural Freedom« um Unterstützung bitten. Walter Benjamin schrieb in Cahiers du Sud, und Heinrich Mann ernährte sich vom Honorar für eine Wochenkolumne in einer unbekannten französischen Provinzzeitung namens Dépêche de Toulouse. Geschichtsschreibung ist ein widersprüchlich Ding, und selbst die Augenzeugen vermitteln diametral entgegengesetzte Bilder.
    Doch Pläne hatten sie alle. Feuchtwanger schrieb an der »Josephus-Trilogie«, Döblin seinen autobiographischen Gesellschaftsroman »Pardon wird nicht gegeben«, und Heinrich Mann entwarf das als Hommage ans Gastland gedachte historische Fresko vom guten König Henri Quatre.
    Kein Literat, von Münzenbergs Éditions du Carrefour bis zu Leopold Schwarzschilds »Neues Tage-Buch«, der nicht gründete, redigierte, herausgab, pleite ging. Kein Denker, von Walter Benjamin bis Ernst
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