Nizza - mon amour (German Edition)
findet das Grab ihres ermordeten Mannes – und geht doch noch einmal in das Leben hinein: »Ich will mich nicht von der Vergangenheit beherrschen lassen, ich will nicht, ich will nicht. […] Ich öffnete den Schrank und nahm das neue Kostüm heraus, das ich noch nicht getragen hatte. Eine blütenweiße Satinbluse, hochhackige Schuhe und die schöne Lederhandtasche, die ich mir vor einigen Tagen in einem Anfall von Verschwendungssucht gekauft hatte, ergänzten meine Ausstattung. Ich färbte meine Lippen hellrot und schlenderte zur Promenade des Anglais hinunter.«
Wind für die Segel kann man nicht leihen. Doch bevor ich mich aufmache nach Antibes, stehle ich mir erst noch einen Funken der Freude, die Stella Silberstein kurz nach dem Krieg bei ihrer Rückkehr an die Côte d’Azur empfand – da amüsierten sie nicht nur die kräftigen jungen GI s, wenn sie geduldig Schlange standen vor einem Bordell, da empfand sie Glück beim Sonnenbaden am Strand. Also erst einmal zum Strand – den es nicht gibt. Die »Plage« in Nizza hat keinerlei Ähnlichkeit mit den weiten Sandstränden von Sylt, der polnischen Ostseeküste oder von Gran Canaria. Das Modder-Gesaug, die rasende Gischt, die Lippen aus Muscheln im weißen Sand – derlei darf man hier nicht erwarten. Zunächst einmal wird der Tourist, der das sucht, enttäuscht sein. Mit Ausnahme weniger kleiner Badebuchten, etwa in Villefranche oder Cannes, und gewiß mit Ausnahme vor allem der schönen Strände von St-Tropez ist alles, was an der französischen Riviera »Plage« heißt, Geröll aus fast immer recht groben Steinen: ohne zumindest Stoffschuhe nicht zu betreten, und für den Schwimmer sind Badeschuhe zu empfehlen. Wer die nicht hat, torkelt ohne Balance und Halt höchst unelegant und unter Schmerzen ins Wasser, zumal bei Brandung.
Das Mittelmeer an den französischen Küsten ist – wie so vieles in Frankreich – dekorativ. Es hat ganz eigene Gezeiten (nicht zu vergleichen mit dem Riesenatem des Atlantiks vor der Bretagne oder an der deutschen Nordseeküste), wenngleich auch hier die weiße Brust des Meeres sich hebt und senkt, wenngleich auch hier das tauseidige Glitzern der See lockt, das weißrosa Elfenbein sommerlicher Nachmittagsstunden betört.
Aber über allem liegt dann doch ein Schleier von lateinischem Charme. Die Plages von Nizza sind ja heitere kleine Freiluftrestaurants – man sonnt sich schon auch in bequemen Liegestühlen, und Kinder, wie überall auf der Welt, laufen ihrem Ball hinterher. Aber »eigentlich« wird dort zu Mittag gegessen (in der heißen Sommersaison auch zu Abend); blumengeschmückte Tische unter Markisen oder Schirmen, elegant eingedeckt mit Damastservietten und dem erwartungsvoll aufmäuligen Weinkühler, bieten dem Gast, was es so auf der Welt nicht noch einmal gibt: vor sich das tatsächlich azurne Meer, hinter sich das rätselhafte Kratschen der Kellner-Schlüssel, mit deren Hilfe sie aus winzigen Katakombenküchen köstliche Speisen hervorzaubern; und über genau diesen geheimnisvollen dunklen Gängen liegt die Promenade des Anglais – da sitzen in duftiger Sommerspitze die Damen, in schicken Hemden die Herren, und genießen ihren »Loup de Mer grillé« und einen leichten Rosé, zum Espresso gar eine Zigarre, denn im Freien darf geraucht werden. Dem deutschen Freizeitgesetz »Je oer die Beine, desto boxer die Shorts« wird eher selten Folge geleistet. Hier weidet sich das Auge statt dessen an lässigen Nymphen, deren lockere Strandkleider so durchsichtig-verhüllend wie aus See-Nebel gewebt, und beim Austernschlürfen sich der sinnlichen Inszenierung sicherlich bewußt; fünf Meter davor räkeln sich körperbewußt gebräunte junge Männer, so gut gebaut, als kämen sie direkt aus dem Atelier des Schöpfers lasziver Fotografien Robert Mapplethorpe – man kann sie wählen à la carte, sie sind zum Dessert bestimmt. So wähnt der Beobachter, die Spritzer der Brandung trügen Marlenes Stimme herüber: »Schöner Gigolo, armer Gigolo …«
Diese Strandabschnitte gehörten früher wohl ausschließlich zu den an der Promenade gelegenen Luxushotels, weswegen sie noch heute Plage Beau Rivage oder Plage Ruhl heißen. Sie stehen nun jedem zahlenden Gast zur Verfügung – zahlen allerdings muß er: eine Liege mit Matratze 15 Euro, ein Sonnenschirmchen dazu für 5 Euro plus pourboire für den »Platzanweiser«, das Menü für zwei Personen kommt rasch auf 100 Euro und mehr. Die Plätze sind schon im Mai so begehrt, daß 20
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