Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier
Autoren: Helen Dunmore
Vom Netzwerk:
Haare wirbeln um ihren Kopf und verdecken ihr Gesicht. Doch Conors Arm hält meine Schultern eisern fest, während der dröhnende Lärm seinen Höhepunkt erreicht. Lichtblitze durchzucken den Stein, während sich seine Bruchstücke zusammensetzen. Der keilförmige Splitter ist ein letztes Mal zu sehen, bevor er im Herzen des Steins verschwindet. Der Schlussstein hat sich selbst geheilt.

    Der Schlussstein ruht im Sand, glatt und massiv. Eine geraume Zeit rührt sich niemand von der Stelle, dann ist plötzlich Saldowrs schwache Stimme zu hören. Wir schwimmen zu ihm. Obwohl aus seinem Gesicht alle Farbe gewichen ist, sieht man ihm die Erleichterung deutlich an. »Der Schlussstein, Conor … lies den Text… sofort.«
    Wir gleiten nahe an den Schlussstein heran. Seine Oberfläche ist schwarz und so blank wie Glas. Ich sehe nichts, was an eine Schrift oder auch nur an ein Muster erinnert. Ich werfe Faro und Elvira verstohlene Blicke zu. Sie sehen
genauso ratlos aus, wie ich mich fühle. »Du siehst in die falsche Richtung«, sagt Conor und fasst mich am Arm. »Schau die Stelle an, die vom Licht erhellt wird.«
    Ich kneife die Augen zusammen und versuche etwas zu erkennen, doch die Oberfläche des Steins sieht so glatt und unberührt aus wie zuvor.
    »Kannst du die Inschrift lesen, mein Sohn?«, flüstert Saldowr eindringlich.
    »Ja … ja, jetzt sehe ich sie.« Conors Finger bohren sich in meinen Arm. »Die Schrift tritt hervor. Siehst du sie nicht, Saph?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Schau doch, Saph, da vorne!«
    Dann bilde ich mir ein, dass sich auf dem glatten Stein ein gewisses Muster abzeichnet. Zeichen, die vor unseren Augen wie aus dem Nichts entstehen. Doch Wörter vermag ich nicht zu entziffern. »Conor, ich …«
    Conor lässt meinen Arm los. Er richtet sich zu seiner vollen Größe auf, die Haare umgeben seinen Kopf wie eine Krone. Wie Faro streckt er seine Hände aus, doch Conors offene Handflächen sind nach oben gerichtet, als beschwöre er die Schrift, sich zu zeigen.
    Ich erinnere mich an Conors Gesang, der die Wächterrobben an der Grenze zu Limina besänftigte. Doch dieser Gesang ist noch machtvoller. Es donnert, als würden Wassermassen aus großer Höhe auf darunterliegende Steine stürzen. Und während er singt, erkenne ich für einen winzigen Moment ein Muster, das tief in den Schlussstein eingeritzt ist.
    Der Gesang ist verschwunden. Die Oberfläche des Steins so glatt wie zuvor. Conor ist wieder mein Bruder und schüttelt
verwirrt den Kopf. »Was war das?«, fragt er, als wisse er nicht mehr, was er soeben getan hat.
    Ich warte darauf, dass Saldowr sich erhebt. Doch sieht er sich offenbar weder zu einem Dank noch zu einer Erklärung veranlasst. Vielleicht hat er nicht genug Kraft , denke ich, bevor mir klar wird, dass Saldowr konzentriert lauscht. »Pst!«, zischt er, obwohl niemand von uns ein Wort gesprochen hat. Allmählich zeichnet sich eine grenzenlose Erleichterung auf seinem Gesicht ab. »Sie kommen.«
    »Wer kommt?«, flüstere ich Conor zu. Er schüttelt den Kopf.
    Saldowr schaut uns an, als hätte er vergessen, wer wir sind. »Geht jetzt«, sagt er. »Sofort!«
    »Was?«
    »Auf der Stelle!« Mit großer Willensanstrengung wendet er sich uns zu. »Faro, Elvira, helft euren Freunden. Reicht ihnen die Hände und bringt sie nach Hause.«
    »Aber Saldowr, was ist passiert?«, frage ich ihn.
    Saldowr scheint alle Kraft für eine Antwort zu sammeln. Seine Faust ist immer noch gegen die Wunde gedrückt, doch vielleicht – vielleicht – blutet sie etwas weniger als zuvor. »Die Gezeiten … sie kehren zurück. Der Schlussstein ruft sie … nach Hause.« Er hustet und beißt sich auf die Lippen. »Geht jetzt… ihr könnt ihrer Gewalt nicht standhalten. «
    Das Rauschen der Gezeiten dröhnt in unseren Ohren, als hätten sich alle Wasserfälle der Erde verbündet, um über uns hereinzubrechen. Noch ist es fern, doch wie wird es sein, wenn die Gezeiten hier ankommen? »Können Sie ihnen standhalten, Saldowr?«
    »Ich bin doch … ihr Hüter.«

    »Es darf Ihnen nichts passieren!«, sage ich eindringlich.
    Erneut huscht der Anflug eines Lächelns über sein Gesicht. »Die Gezeiten trifft … keine Schuld. Reicht euch jetzt die Hände. Faro, Elvira, bringt sie nach Hause.«

Neunzehntes Kapitel

    B ei Rake’s Point erreichen wir das Ufer. Elvira und Faro scheuen die Strömungen und den engen Zugang zu St. Pirans, falls die Flut immer noch in der Stadt sein sollte. Von Rake’s Point aus gibt es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher