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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier
Autoren: Helen Dunmore
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Schraubstöcke um uns, und sie drückt so fest, als würde sie uns nie wieder loslassen wollen. »Sapphy! Con! Ich dachte, ich würde euch niemals wiedersehen.«
    »Au, Mum, nicht so fest!«
    »Entschuldige, Sapphy.« Mum wischt sich mit dem Handrücken die Tränen fort und schließt uns dann wieder in die Arme. Ihre Wangen sind schmutzig, ihre Haare nass und verfilzt. Sie sieht wunderschön aus.
    »Ich kann euch einfach nicht loslassen«, sagt sie schließlich. »Ich kann noch gar nicht glauben, dass ich euch wiederhabe. Stundenlang habe ich die Tür angestarrt und gebetet, dass ihr hereinkommt. Habe alle Leute gefragt, ob euch jemand gesehen hat …«
    »Jetzt sind wir ja wieder da«, sagt Conor. »Das Wasser hatte uns eine Zeit lang eingeschlossen, das ist alles. Wir waren aber nie ernsthaft in Gefahr.«
    »Ich kann das alles gar nicht verstehen«, sagt Mum und zieht uns mit sich auf den Boden hinunter. »Ich dachte, du wärst bei uns auf dem Dachboden, Sapphy, doch als ich aufgewacht bin, warst du nicht mehr da. Ich kann dir gar nicht sagen, was für eine Angst ich um dich hatte. Rainbow meinte, du wärst bestimmt von einem Boot mitgenommen worden und würdest Hilfe holen. Und dann ist Roger gekommen.«
    »Du hattest Fieber, Mum. Deswegen hat dich alles so verwirrt. Conor hat mich abgeholt und gesagt, dass Roger schon auf dem Weg wäre, um euch zu retten. Wir sind alle in Sicherheit.«
    »Ja«, sagt Mum. »Ihr seid in Sicherheit. Nichts anderes zählt.« Erneut drückt sie uns an sich. Ich schließe meine
Augen und schmiege mich an sie. Ich bin so müde und möchte nur noch schlafen …
    Plötzlich zuckt ein fürchterlicher Gedanke durch meinen Kopf. Ich setze mich kerzengerade auf. »Sadie! Wo ist sie, Mum?«
    »Alles in Ordnung, beruhige dich, Sapphy. Rainbow ist mit ihr spazieren. Sadie war so aufgeregt, dass sie alle verrückt gemacht hat.«
    »Wo sind sie hingegangen?«
    »Nein, Sapphy, du gehst nicht wieder nach draußen. Du musst dich ausruhen. Wir brauchen einen Arzt, der sich dein Bein ansieht.«
    Plötzlich fällt ein Schatten auf uns. Ich blicke auf und sehe eine Gestalt, so groß und mächtig wie ein schützender Baum. Sie trägt erdfarbene Kleider und einen roten Schal. In der Hand hält sie einen braunen Tonkrug. »Granny Carne! Was machen Sie denn hier?«
    »Aber, Sapphy!«, sagt Mum.
    »Zeig mir dein Bein, Sapphire«, sagt Granny Carne. Sie beugt sich hinunter und begutachtet sorgfältig die Schnittwunde sowie die Blutergüsse. Schließlich sagt sie: »Das scheint mir gut versorgt worden zu sein.«
    »Bist du schon bei einem Sanitäter gewesen, Sapphy? Das hast du mir ja gar nicht erzählt.«
    Granny Carne schaut mir in die Augen.
    »Ist unser altes Haus in Ordnung?«, frage ich sie. Ihr Anblick hat mich an unser altes Zuhause erinnert. An unsere Haustür, die immer sperrangelweit offen stand, den Weg zu unserer Bucht und den Garten, den Dad einst angelegt hat.
    »Ja, so weit konnte das Meer nicht steigen. Den Fortunes
geht es gut.« Die Fortunes? Wer ist das? Dann erinnere ich mich an Gloria und ihren Mann. Ich hatte sie vollkommen vergessen. Gloria hätte es mit ihren Krücken auch schwer gehabt, der Flut zu entkommen. Wäre das Wasser noch weiter gestiegen …
    Wusste sie, dass es sich um Indigo handelte? Ich frage mich, ob es wirklich Indigo war, das ihr ins Gesicht geschrieben stand. Eines Tages muss ich einen Weg finden, sie danach zu fragen – einen Weg, um herauszufinden, ob sie eine von uns ist.
    Mum drückt mich zitternd an sich. »Ich habe immer gewusst, dass man dem Meer nicht trauen kann«, sagt sie. Ich will bereits widersprechen, denn natürlich denke ich an Faro und Elvira, an den Wal, der mir in der Tiefe des Meeres geholfen hat, an die Delfine und sogar an die Haie, die aus Pflichtgefühl ihr Leben riskierten. Doch Granny Carnes stechender Blick hält mich zurück. Ich sage kein Wort.
    »Kommt mit nach draußen«, fordert sie uns auf, »und seht euch an, wie das Wasser zurückgeht.«
    »Granny Carne war die ganze Nacht hier und hat den Leuten geholfen«, flüstert Mum. »Es heißt, sie sei den ganzen Weg von Senara aus gelaufen. Sie muss sofort aufgebrochen sein, als die Flutwelle kam.«
    »Wahrscheinlich behaupten die Leute, sie sei geflogen«, flüstert Conor.
    »Das reicht, Conor!«, zischt Mum und scheint schon wieder ganz die Alte zu sein.
    Wir folgen Granny Carne aus dem Gemeindesaal. Der Wind hat aufgefrischt und treibt die Wolken auseinander. Matte Sonnenstrahlen treffen
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