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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier
Autoren: Helen Dunmore
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Gesteinssplitter. »Als der Schlussstein auseinanderbrach, war ich ihm zu nah«, sagt Saldowr, »oder nicht nah genug. Einer von euch vieren muss ihn aus meinem Fleisch ziehen, damit der Schlussstein sich wieder vervollständigen kann.«
    Unwillkürlich weichen wir alle einen Schritt zurück.
    »Wer … wer von uns?« Ich weiß, dass meine Stimme zittert. Nicht ich, nicht ich, nicht ich. Die Worte dröhnen so laut in meinem Kopf, dass Faro sie mit Sicherheit hören kann. Er blickt mich durchdringend an.

    »Ich weiß es nicht«, antwortet er. »Ich weiß nur, dass einer von euch in der Lage sein wird, den Splitter herauszuziehen und den Schlussstein zu vervollständigen.«
    »Aber Sie sind doch mein Lehrer!«, ruft Faro aus. »Wie sollte ich so etwas tun können?«
    »Auf diese Frage, Faro, musst du selbst eine Antwort finden. «
    »Kannst du es nicht tun, Elvira? Du bist doch eine Heilerin. Du hast mein Bein behandelt.«
    »Ich will es versuchen«, antwortet Elvira tapfer. »Manchmal muss eine Heilerin ihrem Patienten auch Schmerzen zufügen, um ihn zu heilen.«
    Zögernd streckt sie ihre Hand aus und fasst behutsam um den Teil des Splitters, der aus Saldowrs Schulter herausschaut.
    »Du hast gute Hände«, sagt Saldowr. »Zieh!«
    Elvira wirft ihre Haare zurück, fasst sich ein Herz und zieht so fest wie sie kann. Saldowr schwankt, doch der Splitter bewegt sich nicht. »Ich kann es nicht. Es tut mir leid. Meine Hände …«
    »Es ist nicht deine Schuld, mein Kind.«
    Faro ist der Nächste. Er ist sehr blass, und ich weiß, wie sehr ihm diese Situation zusetzt. Er liebt Saldowr wie einen Vater. Faro holt tief Luft und legt dann seine Hand um den Splitter. Doch im Gegensatz zu Elvira versucht er nicht einmal, ihn herauszuziehen. Er schüttelt bloß den Kopf und lässt seine Arme sinken. »Ich kann diese Arbeit nicht tun.«
    »Wie meinst du das?«, fragt Conor.
    »Die Aufgabe ist nicht für mich bestimmt. Sie stößt mich zurück.«
    Niemand zweifelt daran, dass Faro die Wahrheit sagt.

    »Dann lass es mich versuchen«, sagt Conor. Konzentriert streckt er seine Hand nach dem dunkel leuchtenden Splitter aus, der sich in Saldowrs Schulter gebohrt hat. Mit äußerster Vorsicht, um Saldowr nicht zu verletzen, fasst er ihn an.
    »Ich kann es nicht tun«, sagt er schließlich. »Meine Finger rutschen ab.«
    »Du bist dran, Sapphire«, sagt Faro.
    Ich wollte die Letzte sein, weil ich Angst davor hatte, doch jetzt wünschte ich nur, ich wäre die Erste gewesen und alles wäre vorüber. Zu viel hängt jetzt von mir ab. Wenn ich es auch nicht schaffe, den Splitter herauszuziehen, bleibt uns nichts mehr zu tun. Vorsichtig strecke ich meine Hand aus. Als ich den Splitter berühre, schließen sich meine Finger sofort darum wie um einen Griff.
    Es herrscht gespannte Stille. Alle warten. Tief in mir weiß ich, dass ich den Steinsplitter herausziehen kann. Doch was wird dann geschehen? Wird Saldowr an der offenen Wunde in seiner Schulter verbluten? Ich habe Angst.
    »Ich denke, du bist die eine, myrgh kerenza «, sagt Saldowr sanft.
    »Aber ich will Sie … nicht verletzen.«
    »Du bist es ja nicht, die mich verletzt. Der Schlussstein hat es bereits getan.«
    Ich blicke in seine Augen und finde den Mut zu sagen, was ich wirklich denke. »Was ist, wenn Sie sterben, Saldowr?«
    Auf seinen Lippen zeichnet sich ein vages Lächeln ab. »So leicht bin ich nicht umzubringen. Zieh den Splitter heraus. «
    Ich presse meine Lippen zusammen, sehe ihm fest in die Augen und ziehe mit aller Kraft. Der Splitter gleitet ohne
Widerstand aus Saldowrs Fleisch und bleibt in meiner Hand liegen. Hinter mir höre ich Faro nach Luft schnappen. In Saldowrs Schulter ist eine klaffende, hässliche Wunde entstanden. Das Blut schießt hervor, und für einen kurzen, schrecklichen Moment kommt es mir so vor, als würde ich den pulsierenden Gezeitenknoten betrachten. Das Gefühl des kleinen steinernen Dolchs in meiner Hand lässt mich erschaudern. Ich reiche ihn Saldowr, der ihn fest umfasst, wie eine Waffe. Saldowr ballt seine Hand und presst sie gegen die Wunde. Sein Gesicht ist bleich und verschlossen. Langsam, ganz langsam lässt er sich auf den Grund sinken.
    »Kann Elvira die Wunde nicht heilen?«, flüstere ich Faro zu. Aber er antwortet nicht. Ich glaube, er hört mich nicht einmal.
    »Elvira«, sagt Conor, »kannst du ihm nicht irgendwie helfen? «
    Elvira beißt sich auf die Lippen. »Ich habe nicht genug Wissen. Ich bin nicht die richtige
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