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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier
Autoren: Helen Dunmore
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Heilerin.«
    Eine Welle der Wut rollt durch mich hindurch. Wollen die Mer etwa tatenlos zusehen, wie Saldowr verblutet? Ich tauche zum bewegungslosen Saldowr hinab. »Kann ich Ihnen helfen? Sagen Sie mir, was zu tun ist.«
    Er öffnet seine Augen und blickt mich an. Sie sind zwar von Schmerzen getrübt, doch immer noch seine Augen. » Myrgh kerenza «, sagt er sanft. »Du kannst jetzt nichts tun. Doch hab keine Angst. Ich werde nicht sterben.«
    »Aber die Wunde blutet so stark. Wir müssen doch irgendwas tun.«
    Der Anflug eines Lächelns huscht über sein Gesicht. »Jetzt denkst du wieder wie ein Mensch, liebes Kind. Wir tun doch etwas, wir heilen …« Er hustet und drückt seine
Faust stärker gegen die Wunde. » … heilen den Gezeitenknoten. Zu etwas anderem haben wir jetzt keine Zeit. Conor …« Er hält inne und ringt nach Luft. Conor beugt sich zu ihm hinunter. »Der Schlussstein ist komplett, Conor. Setz das letzte Stück ein.«
    »Aber wo?«
    »Du wirst die richtige Stelle finden.«
    Conor schaut mich fragend an. Wie kann Saldowr nur glauben, dass er die richtige Stelle kennt?
    »Schnell, Conor … setz es ein. Jetzt. Der Schlussstein … wird sich erinnern …«
    Saldowr hat gesagt, dass er nicht sterben wird, doch habe ich Angst, dass er es doch tut.
    »Das letzte Stück … jetzt, Conor, jetzt!«
    Wir schwimmen zu der Ansammlung von Steinen, die wir zusammengetragen haben. Conor hält das letzte Stück, den keilförmigen Splitter, in der Hand. »Es wird nicht funktionieren«, sagt er. »Die Schrift ist nicht zu erkennen.«
    »Tu, was Saldowr gesagt hat«, fordert ihn Faro auf.
    Wir stehen um den Haufen von Gesteinsbrocken herum, die einst den Schlussstein bildeten. Conor wiegt den steinernen Dolch in der Hand. Er kneift die Augen zusammen und sucht nach einer passenden Lücke. Doch er findet nirgends einen Hinweis, nicht das geringste Zeichen. Es scheint völlig unmöglich, dieses dreidimensionale Puzzle zu vervollständigen.
    »Auch der Schlussstein ist verwundet«, sagt Elvira plötzlich, wie ein Arzt, der eine Diagnose stellt. »Er ist genauso verwundet wie Saldowr.«
    »Ja, aber für den Schlussstein bist du wahrscheinlich auch nicht die richtige Heilerin«, sage ich spitz.

    »Saph!«, ruft Conor, doch Elvira fährt ungerührt fort. »Das stimmt, Sapphire, aber der Schlussstein braucht mich nicht. Er will sich selbst heilen. Ich bin mir sicher, dass er es kann. Leg das letzte Stück hin, Conor, das Saldowr verletzt hat.«
    Conor zögert. »Du meinst, ich soll es einfach irgendwo hinlegen?«
    »Ja.«
    Sanft säubert er ein kleines Fleckchen Sand, blickt dann der Reihe nach in unsere Gesichter und legt das keilförmige Stück vorsichtig in die entstandene Lücke. Instinktiv weichen wir ein Stück zurück.
    Es herrscht völlige Stille, als Conor das letzte Stück genau an den Platz legt, den er dafür geschaffen hat. Wir warten gespannt und hoffen inständig, dass etwas geschieht.
    Stille. Ich wage nicht, irgendjemand anzuschauen. Wir haben versagt. Saldowr wird vielleicht sterben, und wir haben versagt.
    Plötzlich macht sich ein leises Geräusch bemerkbar. Es klingt wie das Glucksen der Heizung an einem dunklen Wintermorgen. Das Geräusch wird lauter. Es kommt von den einzelnen Bruchstücken des Schlusssteins. Ein entferntes Rauschen gesellt sich dazu. Ich weiß nicht, woher es kommt, doch bin ich gewiss, dass es von einer enormen Kraft verursacht wird. Es schwillt an wie das Dröhnen eines Wasserfalls, dem man auf einem ruhigen Fluss entgegengleitet. Sobald man die letzte Biegung hinter sich hat, ist nur noch ein ohrenbetäubender Lärm zu hören.
    »Zurück!«, schreit Conor. Wir machen einen Rückwärtssalto durch das Wasser, während der Lärm in unseren Trommelfellen schmerzt. Ich halte mir die Ohren zu, doch der Krach wird immer lauter.

    Etwas Wunderbares und Erschreckendes geschieht mit den Bruchstücken des Schlusssteins, die im Sand liegen. Als hätte das Dröhnen sie mit Leben erfüllt, beginnen die Steine sich zu bewegen. Große Brocken gleiten aufeinander zu. Kleine Splitter des Schlusssteins wirbeln um sein zerbrochenes Herz. Es sieht so aus, als strebten alle Teile an ihren ursprünglichen Platz zurück. Für wenige Sekunden kreisen die fliegenden Scherben um einen imaginären Kern, bevor sich der gesamte Stein zu verfestigen beginnt. Und in der Mitte des Ganzen befindet sich der keilförmige Splitter.
    Faro hat seine Hände ausgestreckt, um die Magie auf Distanz zu halten. Elviras
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