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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch
Autoren: H Dunmore
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waren verschwunden, der Rest ruiniert.
    Mum war sehr traurig über den Verlust unserer Fotoalben. Conor und ich hatten alles auf den Kopf gestellt, mussten die Suche aber schließlich aufgeben. Ein einziges gerahmtes Foto unserer Familie haben wir gefunden. Es lag verkehrt herum im Kamin, unter einem Haufen Seetang begraben. Auf dem Foto stehen Mum und Dad dicht beieinander. Dad hat mir den Arm um die Schultern gelegt, während Mum bei Conor dasselbe tut. Es ist schon ein paar Jahre alt und war immer Moms Lieblingsbild.
    Doch nach Dads Verschwinden vor fast zwei Jahren hat sie es in eine Schublade gelegt.
    Der Bilderrahmen war zerbrochen, aber das Foto noch gut erhalten. Conor und ich haben es vorsichtig getrocknet und Mum gegeben.
    Das war das einzige Mal, dass sie in Tränen ausbrach. Aber dann hat sie gleich gesagt, wie töricht sie doch sei. Hauptsache, Conor und mir ginge es gut, was kümmerten sie da schon ein paar Fotoalben?
    Sie glaubt immer noch, dass Dad damals ertrunken ist. Wenn sie über ihn spricht, hört es sich so an, als hätte sie mit diesem Teil ihres Lebens endgültig abgeschlossen. Und ich habe Angst, dass ihr Freund Roger langsam aber sicher Dads Platz einnimmt.
    Bei diesem Gedanken sitze ich kerzengerade da und balle die Fäuste. Faro lächelt mich spöttisch an.
    »Willst du kämpfen, kleine Schwester?«
    »Tut mir leid, Faro, es ist nicht wegen dir, ich habe nur gerade an etwas …«
    »Schau lieber mich an. Ich zeig dir ein paar Saltos unter Wasser.«
    Mit einem geschmeidigen, gestreckten Sprung taucht er ins Meer ein. Dazu werde ich niemals in der Lage sein, ganz gleich, wie lange ich übe. Und diese Saltos – Faros Körper überschlägt sich dabei so schnell, dass er im schäumenden Wasser nur noch unscharf zu erkennen ist. Immer wilder wirbelt er herum, bis er schließlich die Oberfläche durchbricht, seine Haare zurückwirft und triumphierend ruft: »Hast du das gesehen, Sapphire?«
    »Das war super, Faro.«
    Er stemmt sich wieder auf den Felsen und betrachtet die Seeanemonen in einer Wasserlache auf unserem Felsen. Solche Wasserlachen kann er stundenlang anschauen. Ich eigentlich auch, aber nicht heute, denn meine Gedanken schweifen immer wieder in die Vergangenheit.
    Wir sind also in unser Haus nach Senara zurückgekehrt. Die Fortunes, die es während unserer Abwesenheit gemietet hatten, sind sofort ausgezogen, nachdem sie gehört hatten, dass wir obdachlos geworden waren. Sie haben ein anderes Haus ganz in der Nähe gemietet. Am Tag unserer Rückkehr kam Gloria Fortune mit einem Apfelkuchen vorbei. Sie klopfte höflich an die Küchentür, als hätte sie nie hier gewohnt.
    Alle in Senara haben uns Möbel, Lebensmittel, Kleidung und Wolldecken gebracht, als wären wir Flüchtlinge. Es stimmt zwar, dass unsere alten Klamotten weg sind und wir kein Geld haben, uns neue zu kaufen, doch hatte ich keine Lust, die abgetragenen Sachen anderer Leute anzuziehen. Da es sich um einen Notfall handelt, hat Mum einen Vorschuss von der Versicherung erhalten und Conor und mir davon ein Paar Turnschuhe und eine Garnitur neue Kleidung gekauft.
    Das Restaurant, in dem Mum gearbeitet hat, ist genauso geschlossen wie alle anderen Restaurants in St. Pirans. Zur Zeit jobbt sie vier Mal die Woche in einem Pub hier in Senara.
    Wir sind wieder zu Hause. Wirklich zu Hause.
    Manchmal kann ich es gar nicht fassen. Ich wache zum Beispiel nachts auf und glaube mich in dem kleinen Schlafzimmer mit dem Bullauge in St. Pirans zu befinden. Doch ich bin hier, in meinem eigenen Zimmer, von dem aus eine Leiter zu Conors Dachboden hinaufführt. Was ich in solchen Momenten empfinde, ist schwer zu beschreiben. Als würde man an einem Montag spät aufwachen und sogleich Panik bekommen, weil man glaubt, man habe verschlafen, ehe einem klar wird, dass ja Ferien sind. Als würde die Sonne die Wolken verdrängen. Zu Hause . Alle Geräusche und Gerüche hier sind genau richtig. Ich weiß, woher die Schrammen auf jedem einzelnen Möbelstück stammen. Ich weiß, warum die Wohnzimmertür nicht mehr richtig schließt. (Weil Conor sie demoliert hat, als er Karate geübt hat.) Ich weiß, welche Vögel im Baum vor der Küchentür singen. Jeder Gegenstand in unserem Haus ist wie ein Teil unserer Familie.
    Die Fortunes haben hier drinnen nicht viel verändert, dafür um so mehr im Garten gearbeitet und ihn auf die Aussaat im Frühjahr vorbereitet, wie Dad das immer getan hat. Jetzt pflanze ich jeden Tag nach seinem Vorbild Karotten und
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