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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch
Autoren: H Dunmore
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Weit und breit kein Lebenszeichen, weder schimmernde Fische noch leuchtende Seeanemonen oder anmutige Scharen von Seepferdchen. Nichts, nicht mal ein wenig Seetang, bedeckt die nackten Felsen. Einsame Schluchten und kahle Bergspitzen. Der Sand unter uns ist aschgrau.
    Wir gleiten so vorsichtig voran, dass wir kaum das Wasser aufwirbeln. Nun sehen die Felsen zu beiden Seiten so aus, als seien sie von einem gigantischen Hammer gespalten worden.
    »Das haben die Gezeiten getan, als sie sich losgerissen haben«, sagt Faro, indem er mich an einem geborstenen Korallenriff vorbeilotst. Wir verringern unsere Geschwindigkeit noch mehr, sodass wir durch dieses Labyrinth hindurchgleiten können, ohne irgendwo eingeschlossen zu werden. Ich frage mich beklommen, was wohl passiert, wenn wir jemand aufschrecken.
    »Warum können wir nicht weiter oben schwimmen, wo das Wasser klarer ist?«, flüstere ich.
    »Wir müssen diesen Weg nehmen«, antwortet Faro. »Und pass auf deine Hände auf, Sapphire! Hier gibt es jede Menge Seeaale.«
    Ich ziehe schaudernd meine Hände zurück. Es gibt also doch Lebewesen in dieser Gegend. Roger hat mir mal erzählt, dass Taucher sich vor den Seeaalen in Acht nehmen müssen. Sie leben in Felsspalten wie diesen hier. Wenn sie mit ihren Zähnen deinen Arm zu fassen kriegen, lassen sie ihn nicht mehr los. Was mag sich noch in den Höhlen und Spalten verbergen?
    »Vorsicht ist besser als Nachtisch«, murmele ich.
    »Was?«
    »Es heißt ›Vorsicht ist besser als Nachsicht‹, aber Conor hat immer ›Nachtisch‹ gesagt, als er noch klein war.«
    »Wieso Nachtisch? Hast du Hunger?«
    »Vergiss es, Faro, ist nicht so wichtig.«
    Als wollte man auf einer Beerdigung einen Witz erzählen. Die Stille ist unheimlich. Der gespaltene Felsen schimmert ölig. Aus dem Augenwinkel heraus nehme ich eine Bewegung wahr.
    »Faro!«
    Doch als ich meinen Kopf drehe, sehe ich nichts.
    »Faro, da war irgendwas.«
    Ein besorgter Ausdruck huscht über sein Gesicht.
    »Schwimm einfach weiter«, flüstert er mir ins Ohr. »Tu so, als hättest du sie nicht gesehen.« Er nimmt meine Hand und zieht mich mit sich fort. »Schau nicht zurück.«
    Ich werde auch nicht zurückschauen, ganz bestimmt nicht, aber dann dreht sich mein Kopf wie von allein, und dort, wo ich eben eine Bewegung wahrgenommen hatte, sehe ich jetzt eine Gestalt …
    »Faro, schau mal. Die Frau da vorn!«
    » Nein , Sapphire!«
    »Aber sie ist wunderschön!«
    Sie sitzt auf der schroffen Kante eines Felsens, was ihr überhaupt nichts auszumachen scheint. Ihre glänzenden Haare umspielen ihre Schultern wie ein gläserner Umhang. Ihr strahlendes Lächeln heißt uns willkommen und ihre Arme sind weit geöffnet, als wolle sie uns umarmen.
    »Das ist doch eine Mer, Faro. Eine von deinen Leuten. Warum willst du sie nicht ansehen?«
    Ihre Augen sehen mich durchdringend an. Sie sind groß und hungrig. Sie will etwas von mir. Sie will, dass ich zu ihr komme.
    » Sie ist keine Mer! «, sagt Faro. Seine Stimme ist voller Abscheu.
    »Aber sieh doch nur, wie wunderschön sie ist«, wiederhole ich.
    »Okay, Sapphire, dann schau sie dir an, wenn du unbedingt willst. Schau genau hin!«
    Ich sehe ihr sanftes Gesicht, ihre geschwungenen Schultern, ihre …
    »Schau hin, Sapphire!«
    Sie löst sich vom Felsen, stößt sich mit den Händen ab und gleitet uns entgegen.
    Wo die Mer eine Schwanzflosse und die Menschen Beine haben, befindet sich bei ihr eine Klaue. Eine einzige, leuchtend blaue Klaue. Sie schnappt auf und zu, während sie näher kommt …
    Faro hebt beide Hände, überkreuzt die Finger und legt sie sich an die Stirn. Das Wesen erstarrt.
    »Bleib direkt hinter mir«, murmelt Faro, »und schau es auf keinen Fall noch mal an.« Er weicht langsam zurück, wobei er die Hände an ihrem Platz hält und mich durch seinen Körper abschirmt. Mit zitternden Händen treibe auch ich zurück, meine Augen starr auf Faros Rücken geheftet. Es wird mich nicht dazu bringen, einen weiteren Blick zu riskieren. Aus der Ferne dringt ein Geräusch zu uns herüber. Klack . Klack . Die Klaue, denke ich. Sie öffnet und schließt sich, jederzeit bereit, uns zu …
    »Hab keine Angst«, murmelt Faro. »Taste mit den Fingern hinter dich.« Unmittelbar hinter meinem Rücken befindet sich eine Felswand. Eine glatte, leuchtende Steinmauer, die uns den Weg versperrt.
    Klack. Klack.
    Das Geräusch ist leiser geworden.
    »Ist es verschwunden, Faro?«
    »Warte!«
    Wir verharren reglos an der Felswand und
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