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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
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lange, aber ich hatte Angst, Dir von Verhaftungen zu schreiben, solange Du noch in Breslau warst. So habe ich Dir auch nie berichtet, daß unser guter, treuer Greschek, der es sich ja bis zum Schluß nicht nehmen ließ, zu einem jüdischen Anwalt zu gehen, mich im Zug bis nach Genua begleitet hat. Und einen Brief hierher hat er mir auch geschrieben. Hoffentlich versteht er, daß ich ihm um seinetwillen nicht geant-wortet habe.
    Was sind wir doch für Glückskinder, daß wir uns wieder ohne Angst schreiben können. Was spielt es da für eine Rolle, daß Du Dir auf der »Adolf Woermann« anhören mußt, wie die Nazis an Deinem Tisch das Hitlerbild anschwärmen? Du mußt wirklich lernen, Kränkungen nicht mehr wichtig zu nehmen. Das können sich nur reiche Leute leisten. Es zählt allein, daß Ihr auf der »Adolf Woermann« seid, und nicht, wer mitfährt.
    In einem Monat wirst Du die Leute, die Dir auf den Magen schlagen, nicht mehr sehen. Owuor weiß überhaupt nicht, wie man Menschen kränkt.
    Süßkind ist bester Hoffnung, daß sein Chef ihm erlauben wird, mit dem Wagen nach Mombasa zu fahren. Dann können wir Euch beide abholen und direkt hierherbringen. Direkt bedeutet übrigens eine Reise von mindestens zwei Tagen auf unge-teerten Straßen, aber wir können eine Nacht in Nairobi bei einer Familie Gordon unterkommen. Gordons leben schon vier Jahre dort und sind immer bereit, Neuankömmlingen zu helfen. Sollte Süßkinds Chef nicht einsehen, daß ein Refugee nach Monaten der Todesangst das Bedürfnis hat, seine Frau und sein Kind in die Arme zu schließen, dann sei nicht traurig. Einer von der Jüdischen Gemeinde wird Euch in Mombasa in den Zug nach Nairobi setzen und dann für die Weiterfahrt nach Rongai sorgen. Die Gemeinden sind hier großartig. Schade, daß das nur für die Ankunft gilt.
    Ich zähle nicht mehr die Wochen, sondern die Tage und Stunden, bis wir uns wiedersehen, und komme mir dabei wie der Bräutigam vor der Hochzeitsnacht vor.
    Sei innigst umarmt von Deinem alten Walter
2
    »Toto«, lachte Owuor, als er Regina aus dem Auto hob. Er warf sie ein kleines Stück dem Himmel entgegen, fing sie wieder auf und drückte sie an sich. Seine Arme waren weich und warm, die Zähne sehr weiß. Die großen Pupillen der runden Augen machten sein Gesicht hell, und er trug eine hohe, dunkelrote Kappe, die wie einer jener umgestülpten Eimer aussah, die Regina vor der großen Reise im Sandkasten zum Kuchenbacken genommen hatte. Von der Kappe schaukelte eine schwarze Bommel mit feinen Fransen; sehr kleine schwarze Locken krochen unter dem Rand hervor. Über seiner Hose trug Owuor ein langes weißes Hemd, genau wie die fröhlichen Engel in den Bilderbüchern für artige Kinder. Owuor hatte eine flache Nase, dicke Lippen und einen Kopf, der wie ein schwarzer Mond aussah. Sobald die Sonne die Schweißtropfen auf der Stirn glänzen ließ, verwandelten sie sich in bunte Perlen. Noch nie hatte Regina so winzige Perlen gesehen.
    Der herrliche Duft, der Owuors Haut entströmte, roch wie Honig, verjagte Angst und ließ ein kleines Mädchen zu einem großen Menschen werden. Regina machte ihren Mund weit auf, um den Zauber besser schlucken zu können, der Müdigkeit und Schmerzen aus dem Körper trieb. Erst spürte sie, wie sie in Owuors Armen stark wurde, und dann merkte sie, daß ihre Zunge fliegen gelernt hatte.
    »Toto«, wiederholte sie das schöne, fremde Wort.
    Sanft stellte sie der Riese mit den mächtigen Händen und der glatten Haut auf die Erde. Er ließ ein Lachen aus der Kehle, das ihre Ohren kitzelte. Die hohen Bäume drehten sich, die Wolken fingen an zu tanzen, und schwarze Schatten jagten sich in der weißen Sonne.
    »Toto«, lachte Owuor wieder. Seine Stimme war laut und gut, ganz anders als die der weinenden und flüsternden Menschen in der großen grauen Stadt, von der Regina nachts träumte.
    »Toto«, jubelte Regina zurück und wartete gespannt auf Owuors sprudelnde Fröhlichkeit.
    Sie riß die Augen so weit auf, daß sie glitzernde Punkte sah, die im hellen Licht zu einem Ball aus Feuer wurden, ehe sie verschwanden. Papa hatte seine kleine weiße Hand auf Mamas Schulter gelegt. Das Wissen, wieder Papa und Mama zu haben, erinnerte Regina an Schokolade. Erschrocken schüttelte sie den Kopf und spürte sofort einen kalten Wind auf der Haut. Ob der schwarze Mann im Mond nie mehr lachen würde, wenn sie an Schokolade dachte? Die gab es nicht für arme Kinder, und Regina wußte, daß sie arm war, weil ihr Vater
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