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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
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wäre es übel um mich bestellt gewesen. Und natürlich ohne Owuor, der nicht von meiner Seite gewichen ist und mich gefüttert hat wie ein Kind. Er will übrigens nicht glauben, daß ich nur ein Kind habe. Er hat sieben, aber, wenn ich ihn richtig verstanden habe, auch drei Frauen. Stell Dir vor, er müßte für die ganze Familie Bürgschaften besorgen! Aber er hat ja eine Heimat. Ich beneide ihn sehr. Auch, weil er nicht lesen kann und nicht mitbekommt, was in der Welt geschieht. Merkwürdigerweise scheint er jedoch zu wissen, daß ich eine ganz andere Art von Europäer bin als Mr. Morrison.
    Erzähl Regina von mir. Ob sie ihren Papa noch erkennt? Was mag das Kind von den Dingen mitbekommen? Am besten Du sprichst erst auf dem Schiff mit ihr. Da macht es nichts mehr, wenn sie was ausplappert. Mach Du nicht zu viele Abschiedsbesuche. Sie brechen nur das Herz. Mein Vater wird auch Verständnis dafür haben, wenn Ihr nicht noch einmal nach Sohrau fahrt. Ich glaube, es wird ihm sogar recht sein. Und gib Deiner Mutter und Käte einen Kuß von mir. Es wird schlimm für die beiden sein, wenn der Tag der Trennung kommt. Manche Gedanken kann man gar nicht zu Ende denken.
    Seid beide innigst umarmt Dein alter Walter
    Rongai, den 4. April 1938
    Meine liebe Regina!
    Heute bekommst du einen eigenen Brief, weil dein Papa so glücklich ist, daß er Dich bald wiedersehen wird. Du mußt jetzt besonders artig sein, abends immer beten und Mama helfen, wo du nur kannst. Die Farm, auf der wir alle drei leben werden, wird Dir bestimmt gefallen. Es sind nämlich sehr viele Kinder hier. Du mußt nur ihre Sprache lernen, ehe du mit ihnen spielen kannst. Hier scheint die Sonne jeden Tag. Aus Eiern kriechen kleine, niedliche Küken. Zwei Kälber sind auch schon geboren worden, seitdem ich hier bin. Aber eins mußt du wissen: Es werden nur Kinder nach Afrika hereingelassen, die keine Angst vor Hunden haben. Üb also, tapfer zu sein. Mut ist im Leben viel wichtiger als Schokolade.
    Ich schicke Dir so viele Küsse, wie auf Deinem Gesicht Platz haben. Gib Mama, Oma und Tante Käte welche ab.
    Dein Papa
    Rongai, den 1. Mai 1938
    Mein lieber Vater, meine liebe Liesel!
    Gestern kam Euer Brief mit Rosensamen, Sauerkrautrezept und den neuesten Sohrauer Nachrichten hier an. Wenn ich doch nur in Worte fassen könnte, was so ein Brief bedeutet. Ich komme mir wie der kleine Junge vor, dem Du, lieber Vater, von der Front geschrieben hast. In jedem Deiner Briefe kamen Mut und Vaterlandstreue vor. Nur kam damals keiner von uns auf den Gedanken, daß man den meisten Mut braucht, wenn man kein Vaterland mehr hat.
    Ich mache mir noch größere Sorgen um Euch als zuvor, seitdem die Österreicher heim ins Reich geholt worden sind. Wer weiß, ob die Deutschen nicht ein ähnliches Glück für die Tschechen vorgesehen haben. Und was wird aus Polen? Ich habe mir immer vorgestellt, ich könnte etwas für Euch  tun, wenn ich erst in Afrika bin. Aber natürlich habe ich nie geahnt, daß man im zwanzigsten Jahrhundert Menschen nur auf Kost und Logis anstellt. Bis Jettel und Regina hier sind, ist nicht an eine Veränderung zu denken. Auch danach wird es schwer sein, eine Stellung zu finden, bei der es zu Eiern, Butter und Milch zusätzlich noch ein Gehalt gibt.
    Setzt Euch wenigstens mit einer jüdischen Stelle in Verbindung, die Auswanderer berät. Dafür lohnt sich auch die Reise nach Breslau. Da könntet Ihr Regina und Jettel noch einmal sehen. Ich wollte ja nicht, daß die beiden vor der Abfahrt noch einmal nach Sohrau kommen. Aus Jettels Briefen merke ich, wie nervös sie ist.
    Vor allem, lieber Vater, mach Dir keine Illusionen mehr. Unser Deutschland ist tot. Es hat unsere Liebe mit Füßen getreten. Ich reiße es mir jeden Tag aufs neue aus dem Herzen. Nur unser Schlesierland will nicht weichen.
    Ihr fragt Euch vielleicht, weshalb ich hier draußen so gut über die Welt Bescheid weiß. Das Radio, das mir Stattlers zum Abschied geschenkt haben, ist ein wahres Wunder. Ich bekomme Deutschland so klar wie zu Hause. Außer meinem Freund Süßkind (er lebt auf der Nachbarfarm und war schon in seinem ersten Leben Landwirt) ist das Radio der einzige Mensch, der mit mir Deutsch spricht. Ob es Herrn Goebbels gefallen würde, daß der Jude von Rongai den Durst nach Muttersprache mit seinen Reden stillt?
    Den Genuß gestatte ich mir nur abends. Tagsüber rede ich mit den Schwarzen, was immer besser klappt, und erzähle den Kühen von meinen Prozessen. Die Tiere mit den
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