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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
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sehr lange und böse Nächte mit Worten, die beim ersten Heulen der Hyänen aufeinander losgingen, Angst machten und erst im Schweigen erstickten, wenn die Sonne die Hähne weckte.
    Nach den Nächten mit dem großen Lärm war Walter morgens früher in den Ställen als die Hirten, die die Kühe melkten, und Jettel stand mit roten Augen in der Küche und rührte ihren Zorn in den Milchtopf auf dem rauchenden Ofen. Nach den Qualen der Nacht fand keiner von beiden mehr den Weg zum anderen, ehe die kühle Abendluft von Rongai die Glut des Tages löschte und sich der verwirrten Köpfe erbarmte.
    In solchen Momenten einer Versöhnung voller Scham und Verlegenheit blieb Walter und Jettel nur das seltsame Wunder, das die Farm an Regina hatte geschehen lassen. Dankbar teilten sie Staunen und Erleichterung. Das verschüchterte Kind, das zu Hause die Arme hinter dem Rücken verschränkt und den Kopf gesenkt hatte, wenn es von Fremden nur angelächelt wurde, hatte sich als Chamäleon entpuppt. Regina war am Gleichmaß der Tage von Rongai gesundet. Sie weinte selten und lachte, sobald Owuor in ihrer Nähe war. Dann hatte ihre Stimme keinen Hauch von Kindlichkeit und sie selbst eine Entschlossenheit, die Walter neidisch machte.
    »Kinder finden sich schnell ab«, sagte Jettel an dem Tag, als Regina erzählte, sie habe Jaluo gelernt, um mit Owuor und Aja in ihrer Sprache reden zu können, »das hat schon meine Mutter gesagt.«
    »Dann gibt's ja noch Hoffnung für dich.«
    »Das finde ich nicht komisch.«
    »Ich auch nicht.«
    Walter bereute seinen kleinen Ausbruch sofort. Er vermißte sein früheres Talent zu harmlosen Scherzen. Seitdem seine Ironie bissig geworden war und Jettels Unzufriedenheit sie unberechenbar machte, hielten beider Nerven nicht mehr die kleinen Sticheleien aus, die ihnen in besseren Zeiten selbstverständlich gewesen waren.
    Zu kurz hatten Walter und Jettel das Glück des Wiederfindens erleben dürfen, ehe die Niedergeschlagenheit zurückkehrte, die sie peinigte. Ohne daß sie es sich einzugestehen wagten, litten beide noch mehr an der erzwungenen Gemeinsamkeit, die die Einsamkeit auf der Farm ihnen abforderte, als an der Einsamkeit selbst.
    Sie waren es nicht gewöhnt, sich vollkommen aufeinander einzustellen, und mußten doch jede Stunde des Tages ohne die Anregungen und Abwechslungen der Welt außerhalb ihrer Gemeinschaft miteinander verbringen. Der kleinstädtische Klatsch, den sie in den ersten Jahren ihrer Ehe belächelt und oft sogar als lästig empfunden hatten, erschien ihnen im Rückblick heiter und spannend. Es gab keine kurzen Trennungen mehr und so auch nicht die Wiedersehensfreude, die den Streitereien den Stachel genommen hatten und die ihnen in der Erinnerung wie harmlose Plänkeleien erschienen.
    Walter und Jettel hatten sich seit dem Tag gestritten, an dem sie sich kennengelernt hatten. Sein aufbrausendes Temperament duldete keinen Widerspruch; sie hatte die Selbstsicherheit einer Frau, die ein auffallend schönes Kind gewesen und von ihrer früh verwitweten Mutter vergöttert worden war. In der langen Verlobungszeit hatten sie die Auseinandersetzungen über Banalitäten und ihrer beider Unfähigkeit zum Einlenken noch beschwert, ohne daß sie einen Ausweg gefunden hatten. Erst in der Ehe lernten sie das vertraute Wechselspiel zwischen kleinen Kämpfen und belebenden Versöhnungen als Teil ihrer Liebe zu akzeptieren.
    Als Regina geboren wurde und sechs Monate später Hitler an die Macht kam, fanden Walter und Jettel mehr Halt aneinander als zuvor, ohne sich bewußt zu werden, daß sie bereits Außenseiter im vermeintlichen Paradies waren. Erst im monotonen Lebensrhythmus von Rongai erkannten sie, was tatsächlich geschehen war. Sie hatten fünf Jahre lang die Kraft ihrer Jugend für die Illusion eingesetzt, sich eine Heimat zu erhalten, die sie schon längst verstoßen hatte. Nun wurden beide von der Kurzsichtigkeit und dem Wissen beschämt, daß sie nicht hatten sehen wollen, was viele bereits sahen.
    Die Zeit hatte leichtes Spiel mit ihren Träumen gehabt. Im Westen Deutschlands wurden schon am 1. April 1933 mit dem Boykott der jüdischen Geschäfte die Weichen für die Zukunft ohne Hoffnung gestellt. Jüdische Richter wurden aus dem Amt, Professoren von den Universitäten gejagt, Anwälte und Ärzte verloren ihre Existenz, Kaufleute ihre Geschäfte und alle Juden die anfängliche Zuversicht, der Schrecken würde nur von kurzer Dauer sein. Die Juden in Oberschlesien blieben jedoch dank des
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