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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
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es erst zu trocken gewesen und dann zu naß. Vom Weizen war die Saat nicht aufgegangen. Die Hühner hatten eine Augenkrankheit; mindestens fünf Stück verendeten täglich. Die Kühe gaben nicht genug Milch. Die letzten vier neugeborenen Kälber waren keine zwei Wochen alt geworden. Der Brunnen, den Walter auf Mr. Morrisons Wunsch hatte bohren lassen, gab kein Wasser. Größer wurden nur die Löcher im Dach.
    Der Tag, als das erste Buschfeuer nach dem großen Regen den Menengai zur roten Wand machte, war besonders heiß. Trotzdem stellte Owuor Stühle für Walter und Jettel vor das Haus. »Ein Feuer muß man ansehen, wenn es lange geschlafen hat«, sagte er.
    »Warum bleibst du dann nicht hier?«
    »Meine Beine müssen fort.«
    Der Wind war zu stark für die Stunde vor Sonnenuntergang, der Himmel grau vom schweren Rauch, der in dichten Wolken über die Farm rollte. Die Geier flogen von den Bäumen. Im Wald kreischten die Affen, und auch die Hyänen heulten zu früh. Die Luft war stechend. Sie machte das Sprechen schwer, aber plötzlich sagte Jettel sehr laut: »Ich kann nicht mehr.«
    »Mußt keine Angst haben. Das erstemal habe ich auch gedacht, das Haus brennt ab, und wollte die Feuerwehr holen.«
    »Ich rede nicht vom Feuer. Ich halte es hier nicht mehr aus.«
    »Du mußt, Jettel. Wir werden nicht mehr gefragt.«
    »Aber was soll hier aus uns werden? Du verdienst keinen Cent, und unser letztes Geld ist bald weg. Wie sollen wir Regina in die Schule schicken? Das ist doch kein Leben für ein
    Kind, immer nur mit Aja unter dem Baum zu hocken.«
    »Glaubst du, ich weiß das nicht? Die Kinder müssen bei den großen Entfernungen hier ins Internat. Das nächste ist in Naku-ru und kostet fünf Pfund im Monat. Süßkind hat sich erkundigt. Wenn kein Wunder geschieht, können wir uns das auch in einigen Jahren nicht leisten.«
    »Immer warten wir auf Wunder.«
    »Jettel, so kurz hat uns der liebe Gott damit nicht gehalten. Sonst wärst du nicht hier, um dich zu beklagen. Wir leben, und das ist die Hauptsache.«
    »Ich kann«, würgte Jettel, »das schon nicht mehr hören. Wir leben. Wozu? Um uns über tote Kälber und krepierte Hühner aufzuregen? Ich komme mir auch schon wie tot vor. Manchmal wünsche ich es mir sogar.«
    »Jettel, sag das nie wieder. Um Himmels willen, versündige dich nicht.«
    Walter stand auf und zog Jettel von ihrem Stuhl hoch. Er war reglos in seiner Verzweiflung und ließ es zu, daß die Wut in ihm Gerechtigkeit, Güte und Vernunft verbrannte. Dann aber sah er, daß Jettel weinte, ohne daß sie schluchzen konnte. Ihr bleiches Gesicht und ihre Hilflosigkeit rührten ihn. Endlich empfand er genug Mitleid, um seine Vorwürfe und den Zorn hinunterzuschlucken. Mit einer Sanftheit, die ihn ebenso betroffen machte wie zuvor seine Heftigkeit, zog Walter seine Frau an sich. Einen kurzen Moment wärmte er sich an der von früher her noch vertrauten Erregung, ihren Körper an seinem zu spüren, doch dann verweigerte ihm sein Kopf auch diesen Trost.
    »Wir sind davongekommen. Wir haben die Verpflichtung weiterzumachen.«
    »Was soll das schon wieder heißen?«
    »Jettel«, sagte Walter leise und erkannte, daß er die Tränen, die ihn seit Tagesanbruch drückten, nicht mehr würde lange halten können, »gestern haben in Deutschland die Synagogen gebrannt. Sie haben die Scheiben jüdischer Geschäfte eingeschlagen und Menschen aus ihren Wohnungen geholt und halb totgeprügelt. Ich wollte es dir schon den ganzen Tag sagen, aber ich konnte nicht.«
    »Woher weißt du? Wie kannst du so etwas sagen? Woher willst du das auf dieser verdammten Farm erfahren haben?«
    »Ich habe heute früh um fünf den Schweizer Sender reinbekommen.«
    »Sie können doch nicht einfach Synagogen anzünden. Kein Mensch kann so etwas tun.«
    »Doch sie können. Diese Teufel können. Für die sind wir keine Menschen mehr. Die brennenden Synagogen sind nur der Anfang. Die Nazis sind nicht mehr zu bremsen. Siehst du jetzt ein, daß es keine Rolle spielt, wann und ob Regina lesen lernt?«
    Walter scheute sich, Jettel anzuschauen, doch als er es schließlich wagte, merkte er, daß sie nicht begriffen hatte, was er ihr hatte sagen wollen. Für ihre Mutter und Käte, für seinen Vater und Liesel gab es keine Hoffnung mehr, der Hölle zu entkommen. Seitdem er morgens das Radio ausgeschaltet hatte, war Walter bereit gewesen, seine Pflicht zu erfüllen, die Wahrheit auszusprechen, aber der Moment der Herausforderung lähmte seine Zunge. Es war die
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