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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition)
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Kontinenten gesehen, so viel Zeit in Luxushotels verbracht, bin ich mit ihr in Transatlantik-Maschinen so vieler Luftlinien von Drehort zu Drehort gehetzt, daß meine Erinnerung hier partiell versagt. Hingegen hat etwas anderes mir Eindrücke und Erfahrungen vermittelt in diesen fünf Jahren, die ich niemals vergessen werde, die eingegraben sind in meinem Gehirn für alle Zeit: Ich habe Männer und Frauen kennengelernt, von deren Existenz ich nichts geahnt hatte, zuvor, von deren Existenz ganz wenige ahnen, Männer und Frauen, namenlos, keine Fanfare wird für sie geblasen wie für die bluttriefenden Monstren von Menschenverführern und Menschenvernichtern, keine Auszeichnung gibt es für sie, nicht die kleinste, nichts, nur Aufopferung, Entbehrung, Arbeit bis zum Zusammenbruch, immer neue Enttäuschung, immer neue Verzweiflung, aber auch immer neue Hoffnung und immer neuen Mut, die aus niemals versiegenden Quellen gespeist werden, Männer und Frauen so jenseits meiner und, ja auch Ihrer Erfahrung, mein Herr Richter, daß ich, als ich diese Menschen kennenlernte, zuerst wähnte, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein – je nun, und das war ich ja auch wirklich, einem anderen, sehr kleinen und schönen Planeten, der sich auf unserem so großen, so schrecklichen befindet.
    »Und die einen sind im Dunkeln, und die andern sind im Licht. Doch man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.« Brecht, mein Herr Richter. Ja nun, auch dem genialen Brecht widerspreche ich, bei aller Verehrung. Ich, ein Nichts. Ich widerspreche, weil ich es einfach besser weiß, weil ich sie gesehen habe , die im Dunkeln! Mehr: Die im Lichte zu sehen, lohnt – fast – nicht, mein Herr Richter, das weiß ich heute, nach allem, was ich erlebt habe auf diesem anderen seltsamen und wunderbaren Planeten. Nein, für einen wie mich lohnt es nur noch, über die im Dunkeln zu berichten, wenn sie schon nicht gesehen werden wollen.
    Die Begegnung mit diesen Menschen war das Erschütterndste, das ich jemals erlebt habe, und niemals, niemals kann ich hier auch nur die kleinste Kleinigkeit vergessen. Ich habe die Verpflichtung, das Gute, das ich weiß, und das, paradoxer-, unheimlicher-, pervertierterweise aus dem bösesten Bösen, dem ärgsten Argen, dem schlimmsten Schlimmen entstanden ist, das ihm überhaupt seine Entstehung verdankt, zu berichten als etwas den Menschen Mitteilbares, das ihren Geist berühren wird, berühren muß in einem Ausmaß, welches ich gar nicht übersehen kann – zu berichten, auf diesen Seiten Ihnen allein, mein Herr Richter, und später dann, bei der Verhandlung, vielen, so vielen wie möglich. Ja, dazu bin ich auserkoren – von wem, mein Herr Richter? –, ausgerechnet ich, der denkbar Unwürdigste. Und so habe ich beschlossen, was Sie beruhigen wird: Ich werde niemals lügen. Nicht irgendwelcher Skrupel wegen, ach, ich und Skrupel! Nein, nein, so verhält sich das: Nach dem, was ich mit jenen im Dunkeln, den Namenlosen, Schwachen und, durch Integrität und unendliche Humanität doch zuletzt, Sie werden es sehen, Stärksten der Starken, erlebt habe, kann ich nicht mehr lügen. Ich kann es einfach nicht! Ich könnte natürlich schweigen. Aber ich muß reden, Zeugnis ablegen, und dies mit der Wahrheit, der Wahrheit und mit nichts als der Wahrheit. Abstoßend, mein Herr Richter, nicht wahr, in welcher Frechheit ich selbst jetzt noch darauf beharre, mir Luxus zu leisten – den Luxus der Wahrheit …

4
    J a nun, um fortzufahren in diesem Sinne: Sylvia gab mir einfach alles. Fast alles. Ihr Scheckbuch oder eine Bankvollmacht gab sie mir nie. Das nicht, nein. Überhaupt nie cash. Nur Taschengeld, kein üppiges. Sie war sofort davon überzeugt gewesen, daß ich sie sonst betrügen oder mit ihrem Vermögen verschwinden würde oder beides. Diese Frau, mein Herr Richter, hat einen unglaublich feinen Instinkt. Na ja, und dann war da eben auch noch Babs, ihre Tochter. Ich war nicht der Vater, aber ich wurde von Babs mit Beschlag belegt wie drei Väter!
    Fast elf Jahre ist das Mädchen jetzt alt. Sechs Jahre war es alt, als ich es zum ersten Mal sah. Babs liebte mich vom Moment unserer Begegnung an. Hing an mir. Eine Klette ist nichts dagegen. Für mich war Babs vom ersten Moment an zum Kotzen. Ich konnte sie nicht ausstehen. Ich konnte Kinder überhaupt nicht ausstehen. Ich haßte – wenn das nicht schon ein viel zu starker Ausdruck ist für einen so uninteressanten Dreck –, ich haßte Kinder, alle. Aber
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