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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition)
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Ordnung! Ich habe nur gehört, daß man sie im OP überhaupt nicht ruhig bekam. Madame fühlte immer noch etwas. Also sehr viel Anästhesie. Und als Madame aufwachte, war sie wieder unruhig und litt. Nun, vor einer Stunde ordnete Professor Delamare an, daß sie eine Spritze bekam.«
    »Womit?«
    »Domopan. Fünf Kubikzentimeter. Jetzt ist sie natürlich ruhig.«
    »Domopan?«
    »Ja, Monsieur.« Auf Hélènes Brust baumelte, an einer dünnen Kette, ein schwarzes Holzkreuz. Plötzlich war ich sentimental. (Die Sentimentalität der Wölfe.) Es mußte, dachte ich, eine angenehme Sache sein, an Gott zu glauben, in sich ruhend und auf Ihn vertrauend, in Frieden lebend, seine Pflicht tuend, still und bescheiden, aller Laster, allen Übels frei, glücklich und leicht, von Tag zu Tag. Ja, sicher, eine angenehme Sache. »Sehen Sie, das war eine sehr anstrengende Operation für Madame – totales Gesichtslifting, Halslifting, dazu die Augenlider. Und alles auf einmal!«
    »Na ja, aber gleich Domopan …«
    »Ich sagte Ihnen doch, Madame ist sehr unruhig gewesen.« Ich sah, wie sich das Holzkreuz auf ihrer gewiß schönen, jungen Brust hob und senkte. Ich sah schnell weg. »Seien Sie wirklich ohne Sorge. Sie sind es nicht, wie?«
    »Nein.«
    »Ich sehe es.« Was für eine sanfte, gute Stimme. Also stellte ich mir etwas vor. Wie gesagt, wenn ich einer Frau gegenüberstand – jeder fremden, überall in der Welt, gleich, in welcher Situation –, ich mußte mir immer etwas vorstellen. Man kann leiden unter diesem Tick, glauben Sie das, mein Herr Richter! »Professor Delamare ist nicht mehr hier. Ich will Sie aber gerne mit seiner Wohnung verbinden.«
    »Tun Sie das bitte, Schwester.«
    Sie ging langsam, mit so viel Würde, so viel Grazie zum Schreibtisch und wählte. Dann hatte ich Professor Max Delamare am Apparat.
    »Erfreut, Ihre Stimme zu hören, Monsieur!« Professor Delamare, dem diese Klinik hier draußen in Neuilly gehörte, war einer der drei besten plastischen Chirurgen der Welt. Bei ihm ließen sich Kaiserinnen, Königinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen, die ersten Damen der ersten Gesellschaft restaurieren (was da eben so anfiel, da gab es nichts, das Delamare nicht wieder in Ordnung brachte, Brüste, Beine, Bäuche, Popos, Hüften, Hälse, Nasen, Ohren, Lider, ganze Gesichter, einfach alles!), zu ihm kamen weltbekannte Rennfahrer, die man, gerade noch lebend, aus ihren brennenden Kisten gezogen hatte, kamen Milliardäre, denen böse Menschen die Kiefer oder sonst etwas beschädigt hatten, Maurer, die vom Gerüst gefallen waren, in einen Trog Mit ungelöschtem Kalk auch noch, oder etwa Sekretärinnen mit einer Stinknase – etwas sehr Peinliches, das Opfer ist völlig unschuldig, it just happens. Solche Menschen behandelte Delamare umsonst. Der Mann hatte ein Gewissen. Wenn er den Reichen schon Unsummen abnahm, so operierte er die Armen, ohne etwas zu verlangen. Auch so einer, wie ich nie sein werde, dachte ich. Mit Samtstimme beruhigte er mich: »Drei Stunden und vierzehn Minuten haben wir operiert, Monsieur. Wie gut, daß wir die Voruntersuchungen so gründlich gemacht haben, lieber Freund. Alles ist tadellos verlaufen, mein Wort darauf. Phantastisch gelungen, alles.«
    »Wir haben aber doch vereinbart, daß ich abends herkomme, um mit Madame zu sprechen. Sie wissen, wie sehr sie es sich gewünscht hat …«
    »Ich weiß. Aber glauben Sie mir, das Domopan war unbedingt nötig. Madame mußte unter allen Umständen ruhiggestellt werden. Natürlich, Monsieur, hat es wahrscheinlich nun keinen Sinn … sie schläft sehr tief …«
    »Soll ich warten?«
    »Das kann vielleicht stundenlang dauern, Monsieur. Natürlich dürfen Sie, wenn Sie wollen, auch die ganze Nacht in der Klinik verbringen. Schwester Hélène wird Ihnen ein freies Zimmer geben. Aber eigentlich bin ich dagegen.«
    »Warum?«
    »Die erste Zeit ist immer die schlimmste. Mir wäre es angenehmer, wenn Sie erst morgen abend wiederkämen …«
    Worauf ich wohlige Wärme verspürte. Na, dann aber nichts wie weg! Brief für Sylvia? Unnötig. Den konnte sie mit ihren verbundenen Augen doch nicht lesen.
    »Ich verstehe, Herr Professor. Ich werde also morgen abend vorbeischauen.«
    »Tun Sie das, Monsieur. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Herr Professor. Und vielen, vielen Dank.«
    »Ich bitte Sie! Es ist mir eine unendliche Ehre gewesen«, sagte er, und ich dachte, daß ich gespannt auf seine Rechnung war.
    »Beruhigt, Monsieur?« Bebrilltes Engelsgesicht
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