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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Autoren: Ernst Peter Fischer
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ersten Mal war es phantastisch. Alles war für mich verständlich, und der Rabbi drückte sich klar aus. Beim zweiten Mal wurde es unheimlicher. Der Rabbi blieb souverän, aber ich kam nicht mehr so einfach mit. Und beim dritten Mal war es höchst sonderbar und bemerkenswert. Nicht nur ich, der Rabbi selbst verstand nicht mehr, was er sagte.«
    Niels und sein Bruder hatten vielfach Gelegenheit, sich Gedanken beim Zuhören zu machen, da ihr Vater es liebte, mit Philosophen wie Harald Høffding und anderen Kollegen von der Universität zu diskutieren. Die Professoren trafen sich an Freitagabenden in den jeweiligen Wohnhäusern, um sich auszutauschen, wobei Christian Bohr vermutlich das Rätsel ansprach, das ihn als Physiologen
beschäftigte und das man auf die Frage reduzieren kann: »Was ist Leben?«
    Bereits im 19. Jahrhundert standen sich die beiden Ansichten gegenüber, die heute noch als Top-down- und Bottom-up-Erklärungen unterschieden werden. Die erste Ansicht geht vom Ganzen des lebenden Organismus aus und erörtert seine Funktionen und Fähigkeiten wie das Vermögen der Erinnerung oder die Freude am Leben selbst. Die zweite Ansicht beginnt mit der Aufzählung von Zellen, Molekülen und anderen Teilen und erklärt ihren physikalisch-chemischen Zusammenhang, der als Gedächtnis oder Erregung von Neuronen überprüft werden kann, durch die sich dann besondere Nervenbahnen bilden. Christian Bohr glaubte zum einen fest an die materielle Basis aller Lebensvorgänge, zeigte sich aber zugleich überzeugt, dass sich nicht alles – und erst recht nicht vollständig – durch Physik und Chemie erklären lassen würde. Diese abwägend duale und offen bleibende – rational keinesfalls zu entscheidende – Haltung wird sich seinen Söhnen mitgeteilt haben; Niels wird in den frühen 1930er Jahren damit gar ein eigenes Forschungsprogramm begründen, über das er in dem Vortrag mit dem Titel »Licht und Leben« spricht und wodurch er der kurz darauf sich explosionsartig aufstrebenden Molekularbiologie den Weg bahnt.

Schwester und Bruder
    Es fällt auf, dass in den meisten biographischen Schriften über Niels Bohr die Schwester Jenny kaum erwähnt wird. Sie war auf jeden Fall eine talentierte Frau, die in Kopenhagen und Oxford studierte und als hochgeschätzte Lehrerin arbeitete – bis sie psychisch erkrankte und manisch-depressive Phasen erlebte. Jenny Bohr starb bereits 1933 an den Folgen ihrer Psychosen. Möglicherweise hat sie den Tod ihrer Mutter drei Jahre zuvor nicht verkraftet, wie ihr Bruder Harald gemutmaßt hat, der in seiner Rede an Jennys Grab die Schwester trotz ihres labilen Zustands als stark und gesund bezeichnet und in Erinnerung behalten hat.

    Der Abschied von Jenny lenkt den Blick zurück auf die beiden Bohr-Söhne, die unter vielfältigen Erziehungseinflüssen geraten sind, wobei die ältere Schwester ihrer Mutter, Hanna Adler, eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Die Gründerin einer Kopenhagener Schule für Koedukation nahm die beiden Knaben gern am Wochenende und in den Sommerferien unter ihre Fittiche, um mit ihnen radelnd die dänische Landschaft zu erkunden oder Naturkundemuseen zu besuchen.
    Niels war zwar der ältere, aber offenbar nicht der begabtere oder zielstrebigere der Bohr-Söhne. Der achtzehn Monate jüngere Harald, mit dem Niels gerne Zeit verbrachte, schaffte es, die Schul- und Studienzeit rascher als sein etwas schwerfälliger Bruder zu durchlaufen und zuerst – im Jahr 1910 – seine Promotion in Mathematik abzuschließen (Niels wurde ein Jahr später promoviert). Er beschäftigte sich mit der Theorie der Zahlen, die vor allem in Deutschland erforscht wurde, weshalb er nach der Doktorarbeit einige Zeit in Göttingen arbeitete. Dass Niels sich später in der gleichen Phase seiner wissenschaftlichen Entwicklung nach England orientierte, hängt zweifellos mit dem damaligen Renommee der britischen Physik zusammen.
    In Göttingen traf Harald Bohr auf das Erbe von Bernhard Riemann, der Mitte des 19. Jahrhunderts eine spezielle Funktion gefunden hatte, mit deren Hilfe man der Verteilung von Primzahlen – einem uralten und ungelösten Problem der Mathematik – auf die Spur zu kommen hoffte. Bohr beschäftigte sich – in Zusammenarbeit mit dem Zahlentheoretiker Edmund Landau – mit der sogenannten Riemann’schen Zetafunktion, die bis heute großes Interesse in der Wissenschaft findet, und zwar aus einem praktischen Grund mit globalen Auswirkungen. Funktionen stellen letztlich
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