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Nie genug (German Edition)

Nie genug (German Edition)

Titel: Nie genug (German Edition)
Autoren: Melanie Hinz
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Schlafzimmer.“
    „Kann ich zu ihr?“
    „Natürlich. Sie wartet schon auf dich.“ Er schließt die Tür und bleibt mit hängenden Schultern vor Sam stehen, der keine Scheu hat, ihn in den Arm zu nehmen. Ich lasse die Männer alleine und klopfe leise an der Schlafzimmertür, warte aber nicht auf eine Antwort, sondern trete einfach ein. Nadine hat sich unter zwei Decken vergraben, nur ein paar Haarsträhnen schauen raus.
    Ich streife mir die Schuhe ab und lege meine Jacke auf einen Stuhl.
    „Ist da noch Platz in deiner Höhle?“, frage ich. Als Antwort hebt sie die Decke ein Stück an und lässt mich mit drunter schlüpfen. Ich nehme eine Packung Taschentücher vom Nachttisch, bevor ich mich zu ihr geselle.
    „Hey“, flüstere ich, und wische ihr die getrockneten Tränen aus dem Gesicht. Diese simple Geste reicht bei ihr schon wieder für eine neue Runde. Ich ziehe sie in meine Arme und lasse sie schluchzen. Mehr kann ich nicht tun.
    „Soll ich dir etwas zu trinken holen?“, frage ich, als sie sich wieder beruhigt. Ich schiebe sie ein Stück von mir und wische die Tränenspuren aus ihrem Gesicht. Sie schüttelt nur den Kopf und schließt ihre verweinten Augen.
    „Soll ich deinen Mann holen?“
    „Nein“, antwortet sie mit rauer, verheulter Stimme. „Ich kann ihn jetzt nicht ertragen.“
    „Warum nicht? Er macht sich Sorgen.“
    „Weil er etwas für mich tun will, es aber nicht kann. Weil er versucht, mich mit blöden Floskeln aufzumuntern, die ich ihm am liebsten um die Ohren hauen würde. Weil es so verflucht wehtut.“ Und schon kommt die nächste Runde Schluchzer. Ich versuche stark zu sein, doch auch bei mir fließen jetzt die Tränen.
    „Ich weiß, Süße. Ich weiß.“ Ich halte meine Freundin, bis sie schließlich einschläft. Eine Weile bleibe ich so liegen, versuche mich dann aber unter ihr rauszuwinden. Leider wird sie dadurch wieder wach.
    „Geh noch nicht“, bittet sie. „Erzähl mir was. Wie war dein Termin? Ist alles gut gelaufen? Wieso ist Sam dir eigentlich hinterher gefahren? Er hat ja ein riesiges Geheimnis daraus gemacht.“ Schon etwas gefasster als bei meiner Ankunft, schnaubt sie sich geräuschvoll die Nase.
    Nur für den Bruchteil einer Sekunde denke ich darüber nach, wieder meine alte Lüge aufzugreifen, bis mir klar wird, wie lächerlich das ist. Also gebe ich ihr die beste Ablenkung in diesem Moment und erzähle ihr von meinem wirklichen Beruf.
     
    Ich muss eine ganze Weile bei Nadine gewesen sein, denn als ich das Schlafzimmer verlasse, wird es draußen schon wieder dunkel. Markus springt sofort auf, als ich das Wohnzimmer betrete.
    „Wie geht es ihr?“, fragt er besorgt.
    Sam lächelt mich liebevoll an. Auf dem Couchtisch vor ihm steht eine Wodkaflasche mit zwei Gläsern.
    „Du solltest zu ihr gehen“, sage ich. Markus will direkt an mir vorbeistürmen, doch ich halte ihn am Ärmel fest.
    „Hör mir zu“, fordere ich. „Wenn du ihr noch einmal sagst, dass alles gut wird, dann trete ich dir in die Eier. Sie hat vor ein paar Stunden euer Baby verloren. Auch wenn deine Aussage objektiv gesehen stimmt, dann ist es das Schlimmste, was du ihr jetzt an den Kopf werfen kannst. Für sie ist gerade gar nichts gut, und es steht ihr auch zu, das so zu sehen. Es wird ihr bald besser gehen, Markus. Verstehst du mich?“ Ich schnippse vor seinem Gesicht rum, weil er zu Sam sieht.
    „Ja, ja. Ich verstehe.“ Er schaut wieder zu mir. An seinem glasigen Blick erkenne ich, dass er schon einiges getrunken hat.
    „In diesem Moment trauert sie um euer Baby, und wenn du irgendetwas sagst, um das runterzuspielen, dann kriegen wir Stress. Es wird alles gut, und die Zeit wird es heilen, aber wenn du ihr das jetzt sagst, dann wird sie nur hören, dass du ihren Schmerz nicht ernst nimmst.“
    „Okay, okay. Danke, Emma.“ Er zieht mich in eine überraschend heftige Umarmung.
    „Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, dann sag gar nichts“, erkläre ich ihm, als er wieder von mir ablässt. „Wenn du kannst, dann weine mit ihr. Wenn nicht, dann sei einfach nur da und fang sie auf. Nadine ist stark, Markus. Aber trotzdem braucht sie jetzt ihren Mann. Und du brauchst deine Frau. Es war auch dein Baby.“ Seine Augen füllen sich mit Tränen, doch bevor er auf die Idee kommt, sich in meinen Armen auszuheulen, schiebe ich ihn zum Schlafzimmer.
    Erschöpft lasse ich mich neben Sam auf die Couch fallen, der mir gleich einen Arm um die Schultern legt.
    „Du bist eine großartige Freundin.
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