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Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Titel: Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Autoren: Tim Frühling
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bayernhassender Dämon im Verkehrsministerium gesessen haben, der von Hanns Seidel bis Horst Seehofer keinem Freistaatsvater standesgemäß ausgebaute Autobahnen genehmigte. Das grausamste Beispiel konsequenter Ausbauverweigerung fand sich jahrzehntelang an der A3 hinter der hessisch-bayrischen Grenze. Gleitet man rasant von Köln über Frankfurt Richtung Bajuwarien, so findet die gleitende Rasanz genau mit dem Erreichen desselben ein jähes Ende. Mit dem Passieren des Bundesland-Begrüßungsschildes verengt sich die Autobahn auf ein menschenunwürdiges Maß, strotzt vor unübersichtlichen Kurven und ist von Oktober bis Mai mit einer meterdicken Schneeschicht bedeckt. Das Wort »Standstreifen« ist ab der Aschaffenburger Mainseite kein Teil des gängigen Vokabulars mehr. Mittlerweile allerdings sind Bautrupps angerückt, um das Nadelöhr bis Nürnberg wenigstens partiell zu entschärfen. Aber mittlerweile hat ja auch die CSU keine absolute Mehrheit mehr – und da hat sich der Ministeriumsdämon vielleicht mal großzügig gezeigt.
    Apropos Bundesland-Begrüßungsschild. Gibt es dafür eigentlich keinen Fachterminus? Es kann doch nicht angehen, dass alle paar hundert Kilometer in Deutschland ein Schild steht, das in der StVO nicht benamt wurde. Wenn ein armer Depp mit seiner Karre in eine Ampel rast, heißt es im Polizeireport: »Der Personenkraftwagen kollidierte mit der Lichtzeichenanlage aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit.« Was nun, wenn jemand genau an einer Landesgrenze in ein Bundesland-Begrüßungsschild donnert? Das kann man so ja nicht schreiben, nachher versteht man’s sofort. Ich schlage daher als Wording für Polizei-Pressestuben das Wort »föderalistisches Eigenwerbesymbol eines Bundeslandes bzw. Freistaats« vor. Dann sind auch die Polizeimeldungen wieder das, was sie einmal waren, nämlich unverständlich: »Auf Höhe der ehem. GÜSt Marienborn verunfallte infolge Verstoßes gegen das BtMG der Fahrzeuglenker und kollidierte mit dem föderalistischen Eigenwerbesymbol des Landes Sachsen-Anhalt.«
    Ach, und überhaupt: Sachsen-Anhalt. Früher grüßte den Autofahrer vom Straßenrand nur das neutrale Wappen des Landes, auf dem der Bär so lustig auf Backsteinzinnen balanciert. Heute weist ein anderes Schild den Einreisenden darauf hin, die Keimzelle des Einwohnerrückgangs erreicht zu haben: »Willkommen im Land der Frühaufsteher.« Sachsen-Anhaltiner! Was habt ihr euch dabei gedacht, beziehungsweise welche kokainistische Werbeagentur ist dafür verantwortlich? Eine windige Umfrage aus dem Jahr 2006 hatte ergeben, dass die Menschen zwischen Zeitz und Salzwedel im Schnitt tatsächlich neun Minuten eher aus dem Bett kriechen als im Rest der Republik. Aber wie rar müssen Alleinstellungsmerkmale in diesem Land gesät sein, wenn aus dieser Tatsache gleich eine ganze Kampagne gemacht wird? Freunde, wenn ihr schon beim Bild der Frühaufsteher bleiben wollt, dann schreibt doch wenigstens drauf: »Wer früher aufsteht, ist schneller weg.« Das hätte mehr Esprit und Witz, als man den Menschen des einzigen Bundeslandes ohne internationalen Verkehrsflughafen zutrauen würde.
    Ich lobe mir Länder, die an ihrer Grenze schlicht und würdevoll mit ihrem Wappen grüßen. Hamburg oder Baden-Württemberg zum Beispiel. In Hessen hibbeln derart viele Bälger auf dem föderalistischen Eigenwerbesymbol herum, dass man sich nicht sicher sein kann, ob man eine Landesgrenze überfährt oder auf dem Hof einer Kinderwunschpraxis gelandet ist.
    Eine besonders feine Idee hatte zeitweise übrigens das Saarland. Dort hießen Promis die Gäste auf den Schildern willkommen. Also Nicole. Denn außer der Grand-Prix-Siegerin von 1982 hatte das Beitrittsgebiet ja nie viel mehr an Promis zu bieten, außer Oskar Lafontaine vielleicht, der allerdings abschreckend auf die raren Investoren aus der Wirtschaft wirken könnte. Immerhin hat Saarbrücken einen internationalen Verkehrsflughafen (SCN), und Zweibrücken gleich den nächsten (ZQW). Zwischen den Airports liegt die gewaltige Distanz von dreißig Kilometern – der eine allerdings im Saarland, der andere in Rheinland-Pfalz. Wahrscheinlich hatte der Entscheidungsträger, der den Ausbau von Zweibrücken anordnete, ein Problem mit der Schlagersängerin Nicole, weswegen er nie gucken fahren konnte, ob nicht zufällig im Nachbarland schon ein internationaler Verkehrsflughafen vorhanden ist. Jedenfalls können sich die Einwohner Blieskastels, das genau zwischen SCN und ZQW liegt,
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