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Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Titel: Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Autoren: Tim Frühling
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immerhin hat es eins von ihnen – die »Lindenstraße« – zum Fernsehen geschafft! Eine hübsche Besonderheit bieten die Straßenschilder in Mainz: Die einen sind rot, die anderen blau. Was man für einen immerwährenden Fassenachtsspaß halten könnte, hat einen schlauen und triftigen Hintergrund. Seit fast 160 Jahren wird Ortsfremden so geholfen, sich im Großstadtdschungel zu orientieren. Die Straßen mit den blauen Schildern verlaufen parallel zum Rhein, die mit den roten führen vom Fluss weg. Natürlich ist das Wort »GroßstadtDschungel« im Zusammenhang mit Mainz ein bisschen übertrieben, aber da der Rheinland-Pfälzer sonst nur Reben, Wald, die Mosel und Kurt Beck kennt, muss ihm Mainz krass urban vorkommen.
    Die größte Beleidigung für Menschen mit einem Funken Anspruch an Straßenschilder ist Köln. Es fällt schwer, in Worte zu fassen, wie acht-und lieblos in dieser Fast-Millionenstadt mit der Beschilderung umgesprungen wird. Farbe, Größe, Form, Material und Schriftbild – völlig egal! Zartbesaitete Gemüter sollten die Domstadt in einem weiten Bogen umfahren, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, heulend in diesem zusammengewürfelten Straßenschilderschrottplatz zusammenzubrechen.
    So weit kann es kommen, wenn man sich jahrhundertelang nur um den Bau und die Instandhaltung einer einzelnen Kirche kümmert und um sonst nichts. Ziehen wir noch mal Berlin zum Vergleich heran: Hier steht eine kaputte Kirche in der Einkaufsstraße einer stadtweit wohltuenden Straßenschilderharmonie entgegen. In Köln hingegen beleidigen an jeder Ecke schlampige Schilder das Auge – und diesem multiplen Beschilderungsversagen steht gerade mal ein halbwegs intakter Dom gegenüber. So kann’s kommen bei falscher Prioritätensetzung.
    Dass das Nachkriegs-Köln, von dieser Kirche abgesehen, ein armseliger Haufen gekachelter Häuser ist, wurde in anderen schonungslosen Werken schon mit treffenden Worten geschildert. Dass sich der Kölner durch objektive Schilderungen von Außenstehenden die Liebe zu seiner Stadt nicht schmälern lässt, oder sie sich notfalls herbeitrinkt, ist ebenfalls eine Binsenweisheit. Die Frage, wie es zum heutigen Köln kommen konnte, ist aber noch nicht genügend aufbereitet worden. Auch hier vermute ich falsche Prioritätensetzung: Einen guten Ruf genießt beim Domstädter bis heute Konrad Adenauer. In seine Amtszeit als OB (1917–1933) fiel zum Beispiel die Errichtung des vielgerühmten Grüngürtels. In seine Amtszeit als deutscher Bundeskanzler (1949–1963) wiederum fiel der Wiederaufbau des Schlachtfelds innerhalb des Grüngürtels. Und nur eine kurze Dienstreise aus dem kuschligen Bonn hätte genügt, um dem ehemaligen Stadtvater zu zeigen, dass dreißig Kilometer rheinabwärts mächtig geschlampt wird. Aber vor lauter Wiederbewaffnung, Westbindung und Sozialistenhassschüren kam der alte Mann wohl nicht dazu, eine Depesche in die Nachbarstadt zu schicken mit der Message: »Keine Kachelhäuser, dafür schöne Straßenschilder!«
    Auf der Habenseite des greisen Patriarchen steht allerdings, dass Deutschland gegen Ende seiner Amtszeit gewachsen ist – und zwar nicht nur um das Saargebiet. Sondern um einige Gemeinden und Gemeindeteile entlang der niederländischen Grenze. Heutzutage ist weitgehend unbekannt, dass unsere Nachbarn im Nordwesten bis 1963 hier und da immer wieder ein Stückchen Deutschland annektiert hielten, als Wiedergutmachung für die erlittenen Kriegsschäden. Insgesamt etwa siebzig Quadratkilometer, auf denen rund 10000 Menschen lebten, waren von dieser Regelung betroffen. Der größte Ort war Elten am Niederrhein, dessen Bewohner außergewöhnlich gutgelaunt auf die Zeit der »Niederländischen Auftragsverwaltung« zurückblicken. Nur selten zaubern Annexionen ein Lächeln ins Gesicht – in Elten schon. Denn sowohl die niederländische Regierung als auch die NRW-Oberen verwöhnten die 3600 Einwohner mit Fördergeldern, um sich im Falle eines endgültigen Verbleibens beim einen oder anderen Land der Sympathie dieses Spielballs der Geschichte sicher zu sein.
    Die Rückgabe an Deutschland wurde mit der »Eltener Butternacht« gefeiert. Am Vorabend des 1. August 1963 fuhren Laster mit tonnenweise Butter aus niederländischen Eutern und sonstigen zollvergünstigten Waren nach Elten ein und wurden mit dem Schlag der Mitternachtsglocke deutsch und damit außergewöhnlich günstig zu erwerben.
    Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gab es übrigens niederländische Bestrebungen,
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