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Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Titel: Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Autoren: Tim Frühling
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freigesprochen wurde. Seine Argumentation: Durch den Zusatz »Brüder-Grimm-Stadt« verliert das Ortsschild seinen Charakter als Verkehrszeichen – und entbindet damit von der Verpflichtung, dahinter fünfzig Stundenkilometer zu fahren. Er bekam Recht, die Behörden mussten nachbessern. In Hagen ist kürzlich der Plan umgesetzt worden, sich offiziell »Stadt der FernUniversität« zu nennen, wobei tatsächlich das »U« hinter dem »n« groß geschrieben wird. In Syke bei Bremen wird seit längerem darüber diskutiert, der Stadt den Beinamen »Europastadt« zu geben. Immerhin habe man zwei Partnerstädte im europäischen Ausland! Kein Bremsschuh ist dabei der deutsche Städte-und Gemeindebund, der den Namen »Europastadt« an keinerlei Bedingungen knüpft und es daher jeder Stadt in Deutschland freistellen würde, sich so zu nennen.
    Etwas anders gelagert ist die Geschichte zur Umbenennung von Chemnitz in Karl-Marx-Stadt. Erstens war Karl-Marx-Stadt kein Beiname und zweitens wurden die Stadtväter seinerzeit gar nicht erst gefragt. Stattdessen beschloss die DDR-Führung in Berlin die Namensänderung. Auf die Frage »Warum wurde gerade aus Chemnitz Karl-Marx-Stadt?« gibt es zwei Antworten, eine wahre und eine offizielle. In der offiziellen Begründung der DDR-Führung hieß es, man wolle mit dem neuen Namen die traditionell starke Arbeiterbewegung und die Leistungen beim Wiederaufbau würdigen. Die wahre Version der Geschichte geht so: Die DDR-Oberen waren sich einig, am 14. März 1953 anlässlich des siebzigsten Todestages eine Stadt nach Karl Marx zu benennen. Die Wahl fiel zunächst auf die neu gegründete Arbeiterkolonie, die wir heute als Eisenhüttenstadt kennen. Dummerweise verstarb Stalin neun Tage vor dem Karl-Marx-Todestag. Deswegen wurde fix umdisponiert: Die Arbeiterkolonie an der Oder wurde Stalinstadt genannt, und Chemnitz erhielt die zweifelhafte Ehre, sich fortan nach dem Rauschebart-Kommunisten zu benennen.
    Gerüchten zufolge war auch Leipzig ein heißes Eisen im Umbenennungsfeuer, der Plan wurde vom Staatsratsvorsitzenden Ulbricht aber verworfen. Leipzig war international durch seine Messe zu bekannt, und man wollte – wie man das heute wohl nennen würde – die Brandmark nicht ändern. Außerdem soll Ulbricht darauf spekuliert haben, dass seine Heimatstadt nach seinem Ableben seinen Namen tragen würde. Offenbar war er dafür aber nicht beliebt genug und musste sich mit seinem Konterfei auf einer Briefmarkenserie begnügen.
    Wohin es führt, Straßen, Plätze oder Städte nach umstrittenen Politikern zu benennen, zeigt das Beispiel, das man mir aus dem mecklenburgischen Ludwigslust zutrug. Dort wurde aus der Schweriner Straße zuerst die Adolf-Hitler-Straße und bald darauf die Stalinstraße. Im Volksmund nannten die Ludwigslustigen sie einfach »Straße des jeweils aktuellen Führers«.
    Außerhalb von Diktaturen tut man sich übrigens schwer, Straßen nach noch lebenden Protagonisten zu benennen. Einige wenige Ausnahmen finden sich in bedeutungsarmen Orten, in denen die Prominenz des Namensgebers die Bekanntheit des Ortes beim weitem überstrahlt. So gibt es zum Beispiel in Kerpen eine Michael-Schumacher-Straße, im bayrischen Inning einen Ring, der nach dem Motorradfahrer Toni Mang benannt ist und rund um Walldorf bei Heidelberg einige Dietmar-Hopp-Straßen. Immerhin verwöhnt der Mitbegründer des Softwareherstellers SAP die Region mit Arbeitsplätzen, Steuergeldern und einem Fußball-Erstligisten. Ansonsten qualifiziert erst ein rechtzeitiges Ableben zur Namenspatenschaft. Allerdings verläuft auch das nicht immer glimpflich: Als in Frankfurt 1993 der damalige Oberbürgermeister Andreas von Schoeler die Schilder am frisch umbenannten Willy-Brandt-Platz feierlich enthüllte, musste er von einem italienischen Journalisten darauf aufmerksam gemacht werden, dass von Schoelers Parteigenosse darauf leider falsch geschrieben war. Der Vorname war hinten versehentlich mit »i« statt mit »y« gedruckt worden, der Pressetermin nahm eine ungewollte Wendung.
    Der italienische Journalist erinnert mich an eine andere Frage, der es sich nachzugehen lohnt: Weswegen gibt es für große italienische Städte deutsche Namen? Ganz selbstverständlich sprechen wir von Mailand, Venedig und Neapel statt von Milano, Venezia oder Napoli, während wir uns bei den meisten anderen Ländern einen abbrechen, um die Namen möglichst originalgetreu zu prononcieren. Ein affiges Eddinbroah zum Beispiel für Edinburgh soll
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