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Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Titel: Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Autoren: Tim Frühling
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die größtmögliche Nähe zum Native Speaker herstellen, ein dahingenäseltes Besançon funkelt mächtig frankophil. Wenn wir uns schon bei den Italienern darüber hinwegsetzen, weswegen sagen wir dann nicht auch gleich Edenburg oder Besenson zu den beiden Städten?
    Den Sonderstatus italienischer Großstädte in der deutschen Sprache führen die meisten darauf zurück, dass der transalpine Kontakt zwischen Deutschland und Italien schon immer besonders rege war und dass man im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation ja sogar mal irgendwie zusammen eine Art Land gebildet hat. Die einzige französische Stadt, für die es einen deutschen Namen gibt und die nicht im Elsass liegt, ist Nizza. Das heutige Rentnerparadies war aber Jahrhunderte von Frankreich und Italien umkämpft – und in einer kurzen Zeit italienischer Herrschaft wird wohl ein Deutscher dazwischengegrätscht sein und den Namen Nizza festgelegt haben.
    In Osteuropa verhält sich das mit den deutschen Namen freilich anders: Vom Baltikum bis zum Balkan war jede Gegend im Verlauf der wechselvollen Geschichte mal irgendwann von deutschsprachigen Truppen besetzt, deswegen sind deutsche Sekundärbezeichnungen dort Usus. Dass das slowenische Ljubljana mal Laibach hieß und das rumänische Cluj Klausenburg, mögen manche schon gehört haben. Ein Leben auf der Kehrseite der Erinnerungsmedaille führen dagegen Agram, der deutsche Name der kroatischen Hauptstadt Zagreb, Steinamanger, Stuhlweissenburg und Fünfkirchen, die alle im heutigen Ungarn liegen und auf die Namen Szombathely, Székesfehérvár und Pécs hören. Alte Wiener, die den Niedergang der k.u.k.-Zeit schlecht überwunden haben, sollen heute noch von Pressburg sprechen, wenn sie das benachbarte Bratislava meinen.
    Was allerdings passiert, wenn die Geschichte eine unvorhergesehene Wendung nimmt und ein Land durch eine kriegerische Auseinandersetzung plötzlich eine vollkommen fremdsprachige Region sein eigen nennt? Südtirol ist ein gutes Beispiel, wurde es bis 1918 doch mehr als 550 Jahre fast durchgehend von den deutschsprachigen Habsburgern beherrscht, bis es sich am Ende des Ersten Weltkriegs plötzlich in italienischem Besitz wiederfand. Ganz gegen ihre sonstige Art zeigten sich die Italiener überraschend gut vorbereitet – und zwar in Person von Ettore Tolomei. Dieser Zeitgenosse zweifelhaften Rufs bekam schon 1916 – zwei Jahre vor Beendigung der Krieges – den Auftrag, die deutschen Namen in Südtirol ins Italienische zu übersetzen. Mehr als 12000 Orte, Weiler, Berge, Flüsse und Seen wurden nach seiner Vorstellung italienisiert – die Namen haben sich allesamt bis heute gehalten. Grundsätzlich war Tolomei kein Freund der deutschsprachigen Tiroler Bevölkerung im Beutegebiet. Von ihm verteilte Flugblätter mit der Aufschrift »Ein Schrei genügt und wir haben diesen schweinischen Abschaum eines überständigen Österreichs hinweggefegt« können nicht als Deeskalation der aufgeheizten Stimmung der zwanziger Jahre gewertet werden. Kein Wunder, dass er auf deutschsprachiger Seite den Spitznamen »Totengräber Südtirols« trug.
    Mittlerweile hat sich die Lage in Südtirol weitgehend beruhigt, Deutsch ist anerkannte regionale Amtssprache, und man darf wieder ungestraft Sterzing, Brixen und Bozen sagen. Was bleibt, ist allein der schale Geschmack, von den schnell wechselnden Gurkentruppen aus Rom regiert zu werden.
    Weitgehend unbekannt ist die Tatsache, dass es in Italien bis heute auch außerhalb Südtirols deutsche Sprachinseln gibt. Unterschieden wird zwischen walserischen und zimbrischen Sprachinseln, die walserischen liegen in den westlichen italienischen Alpen, die zimbrischen in den östlichen. Im Walserdeutsch spielt der sch-Laut eine große Rolle. Er macht die Sprache selbst für deutsche Ohren höchst unverständlich, wird von Sprachwissenschaftlern allerdings nicht deswegen »höchstalemannisch« genannt. Ein Merkmal ist die Deklination von prädikativen Adjektiven. Die Bemerkung »es ist schön« heißt auf Höchstalemannisch »as isch schöns«, das Kompliment »sie ist schön« tönt folgendermaßen: »si isch schöni«, wobei das »i« hinter dem schön eben ausdrückt, dass es sich um eine weibliche Schönheit handelt.
    Entstanden sind die Sprachinseln durch die Wanderung der Walser, die im 13. und 14. Jahrhundert das Rhônetal verließen und einige Flecken des heutigen Norditaliens besiedelten. Die zimbrischen Sprachinseln in den Venetianischen Alpen sind dagegen durch
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