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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung
Autoren: Gisa Klönne
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nicht von ihm einschüchtern lassen. Sie richtet sich auf und verknotet die Haare im Nacken. Merkt, wie sein Körper sich anspannt, aufmerksamer wird, als würde er tief in sein Innerstes horchen.
    Judith sitzt reglos, wagt kaum zu atmen, sieht ihn unverwandt an.
    Er lächelt auf einmal, weich, beinahe zärtlich. »Das erste Zeichen«, sagt er leise. »Dein Bild in der Zeitung. Das Kleid mit den Punkten. Deine traurigen Augen. Ich hätte nie gedacht, dass ich dich noch einmal ansehen dürfte.«
    Von wem redet er jetzt und von welchem Kleid? Geht es hier doch um seine Mutter? Sie tastet sich weiter vor, sucht fieberhaft nach den richtigen Worten.
    »Erzähl mir von ihr.«
    Falsch, wieder falsch. Sein Lächeln gefriert, seine Augen verengen sich, seine Hand schließt sich fester um die Pistole. »Komm mir nicht auf die Psychotour, Kollegin.«
    Sie hebt die Hände, zwingt sich nicht zu schreien. »Gut, also gut. Dann sag mir, wie’s gehen soll. Wie bringen wir das hier zu Ende, Schneider?«
    Er zündet sich eine Zigarette an, bläst ihr den Rauch direkt ins Gesicht. Es stinkt, es ist widerlich, zum ersten Mal in ihrem Leben kann sie den Qualm nicht ertragen. Hinter ihr gibt Lea einen Jammerlaut von sich, verkrampft sich dann in der nächsten Wehe.
    Sie schafft es nicht, diesmal schafft sie es nicht. Sie kann Lea nicht retten, das Kind nicht, sich selbst. Sie wird hier gleich sterben, begreift sie auf einmal. Er wird sie töten. Das ist die Erlösung, von der er schwafelt. Wieder kommen ihr die Tränen. Vor Verzweiflung und Wut. Auch das mag Schneider nicht, sie kann es nicht ändern.
    Er betrachtet sie aufmerksam, bläst Rauch zu ihr rüber. Fängt dann auf einmal wieder an zu lächeln. Als sei das hier ein Spiel, in dem er uneinholbar vorne liegt, sodass er großzügig sein kann, den Verlierern was gönnen.
    »Du bist müde, nicht wahr«, sagt er. »Das kann ich verstehen.«
    »Schneider, gib auf, ich bitte dich. Nimm jetzt dein Handy. Hol Hilfe. Mach nicht alles noch schlimmer.«
    Er antwortet nicht. Raucht seine Zigarette zu Ende, trinkt hin und wieder einen langen Schluck Wein.
    »Also gut«, sagt er dann und kramt ein Fläschchen aus seinem Rucksack. »Bringen wir’s hinter uns. Kriegt sie halt noch mal was von dem Wehenmittel, dann geht es wohl schneller.«
    »Nein!« Judith schreit, schafft es nicht, sich zu beherrschen.
    Sofort springt er auf und entsichert die Pistole, legt auf sie an, eine einzige fließende Bewegung.
    »Nein, Schneider, nein!« Sie wirft sich vor Lea, sieht, wie er den Kopf schüttelt, seinen Finger am Abzug, den Lauf der Pistole, sein irres Lächeln. Alles vorbei, alles vergebens, aber sie schreit immer weiter, schreit und fleht und versucht Lea zu schützen, bis der Schuss explodiert.
    ***
    Der Bikini. Aus irgendeinem Grund ist es ausgerechnet Judith Kriegers türkisfarbener Bikini, der ihn so richtig fertigmacht. Vielleicht, weil er ein Bild evoziert. Die Krieger am Strand, wie sie in diesem Bikini ins Wasser springt. Kopfüber, da ist er sich sicher, volle Lotte rein, ohne Rücksicht auf Frisur oder Schminke. Sie hatte nicht damit gerechnet, hier auf Samos in die Gewalt eines Wahnsinnigen zu geraten. Nicht mal ihr sonst so untrüglicher Instinkt hatte sie davor gewarnt. Sie hatte tatsächlich geglaubt, sie könne hier baden.
    Manni trinkt sein Bier aus, wechselt wieder zu Wasser. Die Nachtluft ist mit Hitze aufgeladen, fast statisch. Stressgeruch hängt wie eine Glocke über der Taverne. Sein eigener und der von den evakuierten Touristen an den anderen Tischen. Der Waldbrand ist außer Kontrolle geraten, ein ganzer Bergrücken steht nun jenseits der weit gezogenen Bucht lichterloh in Flammen, der Nachthimmel glüht, hellrote Flammenwalzen fressen sich unaufhaltsam auf die Häuser und Hotels an der Küste zu. Es ist ein Endzeitstimmungsszenario, wie sich das kein Hollywood-Regisseur besser als Finale für Schneiders Höllentrip hätte ausdenken können. Und egal, ob Schneider dieses Feuer nun gelegt hat oder nicht, in jedem Fall spielt es ihm perfekt in die Hände, denn jede verfügbare Einsatzkraft der Insel ist von den Löscharbeiten absorbiert.
    »Vielleicht gibt es Hoffnung«, sagt die Polizistin Maria neben ihm. »Der Wind lässt nach.«
    Manni nickt. Hoffnung, ja. Aber Hoffnung auf was? Hoffnung darauf, dass er sich morgen oder übermorgen mit ein paar übermüdeten griechischen Polizeibeamten auf die Suche in der unwegsamen Bergregion der Westküste machen kann? Hoffnung, dass ein
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