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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung
Autoren: Gisa Klönne
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unerträglich. Er ist unerträglich, völlig verrückt. Schneider wendet sich ab und knallt den Kofferraum zu, bedeckt auch den hinteren Teil des Autos mit Zweigen. Er trägt Bundeswehrkampfkleidung, fällt ihr plötzlich auf. Und er hat nicht nur ein Messer, sondern auch eine Pistole.
    Er kommt zurück zu ihr, mustert sie. »Geht es jetzt, kannst du laufen? Wir müssen los.«
    Sie muss pinkeln, pinkeln. Mit großer Mühe hebt sie ihre Hände und deutet auf ihren Mund.
    »Du hast Durst, du willst reden.« Er nickt wie ein gütiger Onkel, als könne er das sehr gut nachvollziehen, und fängt dann zu ihrer Überraschung tatsächlich an, ihren Knebel zu lösen.
    »Wenn du schreist, hört dich keiner, das ist dir wohl klar? Und wenn du abhaust -«, er klopft auf seine Pistole, reißt ihr dann den Knebel weg.
    »Mach mir auch die Hände los, Schneider, ich muss mal.«
    Er kickt den Knebelstoff unter den Peugeot. »Du kannst auch ohne Hände pissen.«
    »Nein, kann ich nicht.« Sie zwingt sich, ihm direkt in die Augen zu sehen, schöne, goldgrüne Augen sind das, die sie an das erinnern, was Böhm erzählt hat. Die M417. Der kleine Rudi. Ein einsamer Junge, der um seine Mutter weint. Sie streckt ihm ihre Hände hin, ohne den Blick von ihm zu wenden. Mama die Hure, Mama die Heilige, Mama ist schuld – sie hat diese Nummer schon viel zu oft gehört, in zu vielen Vernehmungen, von viel zu vielen gestandenen Kerlen, die zu feige sind, selbst Verantwortung zu übernehmen, was sie oft noch gefährlicher macht.
    »Okay, also gut.« Schneider greift wieder zum Messer. »Aber wenn du mich linkst, muss auch Lea dran glauben.«
    Auch Lea. Auch Lea. Sie sagt sich das vor, klammert sich an diese beiden Silben. Später, als sie vor Schneider her über kaum sichtbare Eselspfade durch die unwirklich schöne Berglandschaft stolpert, höher, immer höher hinauf in die vor Jahrhunderten terrassierten Olivenhaine. Auch Lea. Auch Lea. Das heißt, Lea lebt, lebt zumindest noch, ist irgendwo hier. Wir hatten einen Unterschlupf, ein altes Olivenerntehaus, hört sie Lea sagen, hört wie ein Echo auch Schneiders Fragen danach, als sie in Köln von ihrer Reise berichtet hat. Dorthin also hat er Lea verschleppt. An den Ort, den sie mit ihrem Geliebten teilte, mit Jonas, den er ermordet hat. An den Ort, der ihr heilig ist.
    Der Wind frischt auf und kommt vom Meer, der Himmel ist nun wieder klar, als hätte es das Feuer niemals gegeben. Gras und Geäst rascheln unter ihren Füßen, blassgelb im letzten Sonnenlicht leuchtend. Zikaden rufen, und sie kann die Brandung hören, die tief unter ihr an die Felsküste schlägt. Wild und schön würde sie das unter anderen Umständen finden. Judith stolpert, fängt sich wieder, merkt, dass sie bald keine Kraft mehr hat. Und auch ihre Wut auf Schneider ebbt ab, die Erschöpfung ist stärker, die Angst überwiegt.
    Dann sieht sie das Pferd. Silber, den Schimmel. Witternd steht er unter einem Felsvorsprung und blickt ihr entgegen. Ihr Traumbote, der jetzt Wirklichkeit ist. So also hat Schneider Lea hierhergebracht, auf ihrem Pferd. Ein anderes Bild drängt sich ihr auf, absurd und naiv.
    Josef, wie er die hochschwangere Maria auf einem Esel durch die Wüste nach Bethlehem führt.
    »Weiter, na los.« Schneider gibt ihr einen Stoß in den Rücken, und nach etwa hundert Metern sieht sie Leas Kate, winzig und weiß zwischen krummen Oliven, drum herum nichts außer Licht und Wind.
    Ein Wimmern dringt aus dem Haus, dann ein fast unmenschlicher Schrei. Genau wie in der Altstadt, vor endloser Zeit, in einem anderen Leben. Judith rennt los, reißt die Holztür auf, entdeckt Lea zusammengekrümmt auf einer Decke. Schneider hat auch sie mit Kabelbinder gefesselt, Tränen und Schweiß strömen über ihr Gesicht.
    »Die Wehen«, wimmert sie. »Es ist doch noch zu früh, und ich kann doch nicht hier.«
    Hinter ihr klappt die Tür. Schneider kommt herein, setzt sich auf eine grob gezimmerte Holzbank und zündet sich eine Zigarette an.
    »Es geht also los«, konstatiert er nüchtern, greift nach einer Plastikflasche, trinkt und streckt die Beine aus. Als sei er im Kino oder in einem Labor und richte sich auf ein spannendes Schauspiel ein.
    »Auch einen Schluck?«, fragt er im Kumpelton und hält Judith die Flasche hin.
    Sie würde sie ihm wirklich gern aus der Hand schlagen, aber sie ist völlig ausgedörrt, und sie muss bei Kräften bleiben. Sie nimmt einen Schluck und spuckt aus. Weißwein, kein Wasser.
    »Das würde ich nicht
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