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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung
Autoren: Gisa Klönne
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wieder zu beruhigen. Einatmen, ausatmen. Ein. Aus. Ihr Körper ist taub, trotzdem bewegt sie Finger und Zehen und spannt immer wieder alle Muskeln an, damit die Durchblutung nicht völlig versiegt. Die Hitze wird drückender, schier unerträglich. Vielleicht ist es also schon Nachmittag. Vielleicht ist die Sonne gewandert und scheint jetzt direkt auf den Kofferraum. Wie viel Zeit hat sie, bis sie verdurstet?
    Sie dämmert weg, schreckt wieder hoch und fixiert den Lichtschlitz. Staub flirrt davor, also hat sich der Sonnenstand wohl tatsächlich verändert. Und noch etwas ist neu. Ein Knirschen, Schritte, die sich nähern, ein metallisches Schaben, dann wird sie geblendet, und ein Schwall frische Luft fegt ihr ins Gesicht.
    Sie blinzelt, erkennt die Umrisse eines Mannes. Kein Seifengeruch jetzt, Schweiß stattdessen. Und sie kennt das Gesicht, den grauen Bürstenhaarschnitt, die drahtige Figur. Schneider vom Einbruch. Mit einem Messer.
    »Tut mir leid, dass du so lange warten musstest«, sagt er im Plauderton und beugt sich über ihre Füße.
    Das Messer drückt in ihren Knöchel, Judith zuckt zurück, aber Schneider ist schnell, er packt ihren Fuß mit der Linken, so fest, dass sie aufstöhnt.
    Er lächelt zu ihr herunter. »Halt still, sonst muss ich dir wehtun.«
    Schneider. Rolf Schneider. Sie denkt an ihre Panikattacke in der Kantine. An die Foto-SMS, die sie dort plötzlich bekam. An das ungute Gefühl in Miriams Zimmer, als sie dort mit ihm und Manni stand. Denkt an all seine Fragen zu Samos und Lea Wenzel. Nach Leas Versteck. An diesen Ausdruck in seinem Gesicht, als sie sagte, dass Lea hochschwanger sei. Schockiert, hat sie gedacht, und das stimmte wohl auch. Nur anders schockiert, als sie es sich vorstellen konnte.
    »Hältst du jetzt still?«
    Sie nickt, und sein Griff wird etwas lockerer. Wieder setzt er das Messer an und beginnt ihre Fußfesseln zu durchschneiden. Kabelbinder, das hatte sie schon vermutet, nun weiß sie es sicher. So vieles begreift sie, doch das hilft ihr nicht.
    Sie muss plötzlich sehr dringend pinkeln, konzentriert sich mit aller Macht darauf, das zu unterdrücken, denn sich vor Schneider nass zu machen, diese Blöße wird sie sich nicht geben.
    Ein Kollege. Der Mörder, den sie gejagt haben, ist ein Kollege. Man weiß natürlich immer, dass das im Bereich des Möglichen liegt, alles ist möglich, wenn es um Menschen geht, aber man denkt es nicht dauernd, sonst wird man verrückt und kann niemandem mehr trauen. Niemals, nie.
    »So.« Schneider richtet sich auf.
    Sehr vorsichtig versucht sie, ihre Füße zu bewegen. Es gelingt nur mäßig, der Schmerz ist zu stark. Schneider steckt sein Messer weg, packt sie unter den Armen, hebt sie heraus und stellt sie auf den Boden.
    Ihre Füße knicken weg, sie taumelt, fällt. Aber Schneider ist schnell. Wieder hebt er sie hoch und lehnt sie an die Bruchsteinmauer, neben der er den Wagen geparkt hat. Ihren Mietwagen, ihren himmelblauen Peugeot. Aber viel ist von ihm nicht mehr zu sehen, Schneider hat ihn mit Geäst getarnt. Das war wohl das Schleifen, das sie gehört hatte.
    Pinkeln, sie muss so dringend pinkeln. Sie presst ihren Rücken an den warmen, rauen Stein und versucht, ihre Zehen zu bewegen und die Finger. Sie versucht sich nur darauf zu konzentrieren, denn sie darf nicht vor Schneider in die Hose machen, und sie will auch nicht von ihm ausgezogen werden, das nicht, das nicht, das bitte nicht.
    Sie kann nicht sagen, wie lange es dauert, bis ihre Füße sie wieder tragen. Sie hat ohnehin jedes Zeitgefühl verloren. Abend ist es wohl schon, das Licht hat sich verändert, ist jetzt dunkler, diffuser. Sie wendet den Kopf zur Sonne hin. Schwefelschwarze Wolken schlieren vom Bergrücken aus über den Himmel, die Sonne sieht aus wie ein glutrotes Auge. Rauchschwaden sind das, keine Wolken, begreift sie auf einmal. Irgendwo jenseits des Kerkismassivs muss ein gigantisches Feuer lodern.
    Schneider ist ihrem Blick gefolgt und nickt, als habe sie ihre Gedanken laut ausgesprochen. Hat er dieses Feuer gelegt, mit dem Benzin aus dem Kanister? Kaum hat sie das gedacht, ist die Panik wieder da. Das Feuer dort ist weit entfernt, bestimmt zehn Kilometer, aber was ist mit Lea, wo ist sie, und was hat er noch vor, was plant er mit ihr?
    »Du glaubst, das war ich.« Schneider lacht auf. »O nein, das ist Schicksal. Das letzte Zeichen. Darauf hab ich gar nicht zu hoffen gewagt.«
    Die Insel brennt, und er lacht, hält das offenbar für ein gutes Omen. Es ist
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