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Nicht ohne Beruf (German Edition)

Nicht ohne Beruf (German Edition)

Titel: Nicht ohne Beruf (German Edition)
Autoren: Thea Derado
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Mediziner, die Herzschlag messen, einen Tropf anlegen und alles Mögliche spritzen. Ich muss Stativ sein und den Beutel hoch halten.
    Mutti streichelt aus Dankbarkeit den sie verarztenden jungen Mann.
    Dann nehmen sie sie im Sani mit. Ich komme mit ihrem Köfferchen, obenauf die Patientenverfügung und meine Telefonnummer, in Hausschuhen nur bis zur Haustür mit. Es regnet.
    In ihrer Wohnung räume ich noch Essen sreste weg, spülte ab, sammle Wäsche ein. Wie staune ich, dass Mutti in der neuen Fernsehzeitschrift, die Tanja ihr erst am Sonnabend mitgebracht hat, alle Rätsel gelöst hat: Das Kreuzwort-, das Silben- und das Zahlenrätsel.
    „He, Mütterchen, ich bin stolz auf dich!“
     
    Bis ich zu Hause bin, haben sie vom Krankenhaus angerufen, dass Mutti wohl nicht die Nacht überleben wird.
    Als ich im Krankenhaus ankomme, es ist unterdessen etwa viertel vor Elf, ist sie, erleichtert durch eine Morphiumspritze, r uhig entschlafen. Eine Stunde und zehn Minuten war sie auf der Station.
    Sie sieht so aus, wie ich sie in den letzten Wochen immer angetroffen habe, wenn sie mit leicht geöffnetem Mund vor sich hin schlief. Ich mag der Schwester gar nicht glauben, dass Mutti bereits tot sei.
    Seit längerem sind wir darauf vorbereitet, und dann geht es doch wieder zu schnell.
    Ich schicke die Schwester weg, um mit Mutti noch ein letztes Mal ungestört allein zu sein. Sie ist noch immer warm, als ich sie in den Armen halte und leise ihre erzgebi rgischen Feierabendlieder von Anton Günther zum letzten Abschied singe:
    Gar manches Herz hat ausgeschlag’n, vorbei ist Sorg und Mühn. Un übers Grab ganz sachte zieht ein Säuseln drüber hin. Da ziehts wie Friedn durch die Brust, es klingt als wie a Lied, aus längst vergangnen Zeiten rauscht’s gar haamlich durchs Gemüt: `s is Feieromd, `s is Feieromd, das Tagwark is vollbracht. ‘S gieht alles seiner Haamit zu; ganz sachte schleicht de Nacht.
     
    Gegen Mitternacht fahre ich durch die leeren regennassen Straßen. Erst nach und nach setzte ein Weh ein, das einem Liebeskummer vergleichbar ist, wenn man gewaltsam von einem lieben Menschen getrennt wird und nichts dagegen tun kann.
     
    Am Dienstag, den 13. Dezember 2005,  abends halb elf Uhr ist meine Mutti für immer von uns gegangen.
    An einem Dreizehnten!
    Wollte sie damit irgendeine Auflösung signalisieren zu der Frage, ob die 13 eine Glücks- oder Unglückszahl sei? Aber welche?
     
    Zwei Tage vor Muttis Tod hat ihre dritte Urenkelin, die gerade vier Jahre alt gewordene Lara, gesagt: „Meine Tick-tack-Oma stirbt nun bald. Sie ist schon sehr alt!“
    Als dann wenige Tage später ihre Mami erzählt, dass dies eingetreten sei, macht Lara ein sehr ernstes und nachdenkliches Gesicht.
    Nach einer Weile: „Da ist die Wohnung doch  leer? – Da könnten wir doch dorthin ziehen.“
    „Nur weil die Wohnung leer ist, willst du von Hamburg nach München ziehen?“
    „Ja, weißt du Mami, da liegen immer so gute Süßigkeiten in der Wohnung!“
     
    Der Winter 2005 auf 2006 ist in Bayern pausenlos. Auf der gefrorenen Erde häuft sich der Schnee täglich neu.
    Da Mutti eingeäschert werden wollte, liegt ihre Urne erst einmal auf Halde, bis das Wetter eine Bestattung zulässt.
    In den Osterferien haben dann alle Zeit.
    Von Mutti habe ich schon vorab die Erlaubnis eingeholt, das Ganze ohne Pfarrer durchziehen zu dürfen.
    „Erzähle bloß keine grausigen Sachen vom Sterben!“, mahnen die jungen Mütter.
    Ich halte mich daran.
    „Nicht jeder hat das Glück, eine Urgro ßmutter zu haben. Ihr vier hattet eine. Darüber sind wir alle sehr glücklich. Und auch eure Ur-Omi war sehr erfreut, dass sie euch noch erleben durfte.
    Nun ist sie für immer von uns gegangen. Darum stehen wir hier, um uns von ihr zu verabschieden.“
    Ein Bediensteter vom Friedhof in Uniform hält die Urne in behandschuhten Händen und lässt sie ins Grab.
    Die älteste Urenkelin hat in der Schule über Grabbeigaben bei den Ägyptern gehört. Haben wir unserer Omi nicht schon immer angedroht, wir würden ihr die Joker ins Grab hinterher werfen, weil sie stets die meisten davon beim Spielen hatte?
    Wir sind etwa zwanzig Trauergäste, und so viele Joker lassen wir auf die Urne fallen, dazu Lavendel. Tanja hat ihn mitgebracht und verteilt, weil Romi ihn so gern hatte.
    Dann fassen wir uns an den Händen und singen ein letztes Schlaflied. Sandra   lässt es sich nicht nehmen, alle drei Strophen zu singen.
    Die obligate Hand voll Erde prasselt noch von
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