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Nicht ohne Beruf (German Edition)

Nicht ohne Beruf (German Edition)

Titel: Nicht ohne Beruf (German Edition)
Autoren: Thea Derado
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ständigen Speichelfluss verliert die Pat. viel Flüssigkeit.
    Die Patientin ist auf 43 kg abgemagert und dementsprechend kraftlos.
    Eigenständige Fortbewegung in der Wohnung ist auch mit einem Rollator nur mühsam und langsam möglich - bei rascher Ermüdung. Die ALS zeigte vor einem Jahr ihre  ersten neurologischen Erscheinungen als Lähmung in den unteren Extremitäten.
    Und so weiter.
    In der Literatur lese ich, dass die ALS sich meistens über drei bis fünf Jahre hinzieht. Nein, so ein langes Leiden wünsche ich keinem, schon gar nicht einem Menschen, den ich liebe!
    So gewöhne ich mich von Tag zu Tag mehr an den Gedanken, dass die Zeit mit meiner Mutti allmählich ihrem Ende zugeht. Ja, in ihrem Interesse wünschen wir es sogar.
     
    Bevor ich meine Kinder hatte, dachte ich – und nun wieder:  Der große Rasen des Lebens ist Traurigkeit. Zu allen Jahreszeiten wachsen auf ihm Blumen der Freude vom Schneeglöckchen bis zur Herbstzeitlose, die uns ins Herz leuchten. Doch schon beim Aufblühen trägt jede Blume die Bestimmung in sich, bald wieder zu verwelken, wieder unter den Rasen zurückzukehren.
    Es gibt kein Leben, das überwiegend aus Freude besteht, ebenso wie es keinen Rasen nur aus Blumen und ohne Gras gibt. Betrachte das Gras nicht als ‚Unkraut‘, sondern als Grundlage, auf der alles wachsen kann. So wird es dich nicht unglücklich machen, sondern es verleiht eine friedliche Heiterkeit, eine Gelassenheit, die aus dem bewussten Erkennen und Annehmen der Traurigkeit entspringt.
     
     
     
     
    Gar manches Herz hat ausgeschla g‘n
     
     
    Seit dem 8. Dezember ist Tanja mit ihren beiden Mädchen zur Vorweihnacht in München, wie schon in den vergangenen Jahren. Jana   stellt fest, dass es schon das vierte oder fünfte Jahr ist, dass sie in der Adventszeit mit derselben Entschuldigung einige Tage Schule schwänzt: die Großmutter läge im Sterben. Zum Glück hätten die Lehrer gewechselt.
    Wie schon im letzten Jahr habe ich wieder Karten fürs Nationaltheater besorgt. Während der vier Tagen tausche ich mit Tanja die Aufgaben: Sie bringt ihre Omi ins Bett, und ich lese dafür abends meinen Enkeltöchtern Geschichten vor.
    Es ist eine angenehme Abwechslung.
    Im Sommer hat Jana   noch gemeint, sie wolle nicht, dass ihre Romi stürbe. Jetzt sieht sie, welche Quälerei es für die alte Frau bedeute, wolle man ihr nicht die wohlverdiente Ruhe gönnen.
     
    Wie sich doch die Einstellung zum Tod ändert, wenn er nicht mehr graue Theorie ist, sondern ganz nah kommt! Gevatter Hain wird langsam zum Vertrauten, den Mutti anbettelt, er möge sie nicht so lange zappeln und leiden lassen.
    Am 12. Dezember bringe ich meine drei kleinen Weiber zum Nachtzug. Zuvor hat Tanja noch ihre Omi ins Bett gebracht.
     
    Am nächsten Tag ruft mich meine slowakische Helferin an, Mutti habe aufgeschrieben, ich solle den Notarzt rufen. Da ich das ja nun schon einige Male erfolglos getan habe, finde ich, ich werde das am Abend entscheiden.
    Als ich zur Tür hereinkomme, höre ich b ereits ein beängstigend lautes Atmen und Gurgeln. Statt gemütlich zu liegen, sitzt Mutti im Plissee-Rock und feiner Bluse zusammengesackt auf dem Sofa.
    Sie deutet auf einen Zettel.
    „Bitte, bitte Uta, ruf Notarzt an. Wann die kommen können, um mich ins Krankenhaus zu fahren Kann nicht mehr essen, trinken, schlafen. Ich kann hier nicht mehr. Danke. – Koffer ist gepackt! Auf Schlafzimmerstuhl.“
    Und später noch „Todsterbenselend“ und
    „Das ist kein Sterben, das ist Krepieren.“
    Von Jugend an betrachtete sie das Krankenhaus als Heimat, als Hort der Geborgenheit.
    Offenbar hat sie schon den ganzen Tag über Vorbereitungen für „hinterher“ g etroffen: welche Termine ich absagen müsse (Herzschrittmacher-Kontrolle und die nächste Pediküre),  dass ihre Kleider dem Roten Kreuz zu vermachen seien.
    Ihre Patientenverfügung liegt bereit, ergänzt um den Zusatz: Ein möglichst r asches Ende, bitte!!!
    „Soll ich heute Nacht bei dir schlafen?“
    Sie schaut mich an, als ob sie denkt: Was kannst du mir denn helfen!
    Ich komme selbst drauf, dass es Blödsinn ist, wenn ich dann vielleicht nachts um zwei den Notarzt anrufe. Sollen die doch entscheiden, ob es notwendig ist oder nicht. Dazu gibt es sie ja schließlich.
    Also wähle ich gegen halb Neun die 112 und beschreibe Muttis Zustand. Sie muss in den Hörer atmen. Ob die Lippen blau wären, wollen sie wissen. Nein, sind sie nicht.
    Kaum 5 Minuten später sind sie da, drei junge
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