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Nicht ohne Beruf (German Edition)

Nicht ohne Beruf (German Edition)

Titel: Nicht ohne Beruf (German Edition)
Autoren: Thea Derado
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solche Nachricht zu ertragen.
    „Das kannst du mir ruhig sagen,“ meint sie sachlich. Dann grinst sie mich von der Seite an und fragte: „Ist er schon tot?“
    „Nein! Aber er war vorgestern auf der Intensivstation, nachdem er wohl in seinem Heim bewusstlos aufgefunden worden war. Jetzt hat er, wie ich am Telefon von seiner Freundin Jenny erfuhr, eine Lungenentzündung bekommen.“
    „Der Gnadenstoß für alte Männer. Naja.“
    Vatis 80-jährige Bekannte berichtete mir ausführlich, wie es vor etwa zwei Wochen dazu kam, dass Vati bereits damals ins Krankenhaus eingeliefert  und genäht werden musste. Er war mit dem Rollator gestürzt. Mein Alter Herr wird wohl nie seriös! In der großen Eingangshalle seines Heimes wollte er mit 90! eine Show abziehen und vorführen, was für tolle Sachen er mit seinem Rollator anstellen kann.
    Er setzte sich auf das Brett und stieß sich, rückwärts fahrend, mit den Füßen ab.  Das rollte, solang es ging. An einer Schwelle stürzte er und musste genäht werden.
    Sein Großvater Gotthilf muss wohl ein ähnliches Urvieh gewesen sein. Eigentlich imponiert mir das.
    Jenny wollte von mir wissen, ob Vati eine Patientenverfügung geschrieben habe und wo sie sein könnte. Sie hatte in seinen Unterlagen nur den von mir mit der Maschine getippten Entwurf gefunden. Die Ärzte hätten sie gefragt, ob er, falls die Atmung aussetzt, noch an Apparate angeschlossen werden solle. Sie sagte ihnen, dass es gewiss in seinem Sinne wäre, das nicht zu tun.
    Sogleich haben wir unsere eigenen Patie ntenverfügungen dahingehend ergänzt; auch dass wir in so einem Fall keine Magensonde wollen.
    Es scheint, man muss jedes Gerät einzeln erwähnen!
     
    Am 16. September rief mich Henny wieder an: „Dein Vater ist heute früh um fünf Uhr gestorben.“
    Nachmittags zu Mutti: „Wärest du mit Vati verheiratet, dann wärest du seit heute früh Witwe.“
    Mutti vernimmt es mit verhaltenem doch gut erkennbarem Stolz, dass sie das  Rennen gewonnen hat, obgleich sie doch anderthalb Jahre älter ist als Vati.
     
    Ab und zu beschäftigt mich der Gedanke, ob Mutti nun meint, da Vati vorausgegangen ist, könne sie auch
    allmählich die letzte Reise antreten.
    „Du hast doch keine Sehnsucht nach V ati?“ frage ich sie. „Der feiert da oben erst mal Wiedersehen mit all seinen anderen Weibern: Elsa, Rena, der schicken Rheinländerin Doris, und seiner Mutter.“
    „Und der Tschibo-Frau.“
    „Richtig, die war ja auch in seiner Sammlung! Na, das gibt ja gleich wieder Zoff.“
    „Und eine Schulfreundin von Doris.“
    „Das weiß ich doch gar nicht.“
    „Aber ich“, grinst sie triumphierend.
    Der Alte musste doch stets seine Eroberungen an die große Glocke hängen, wahrscheinlich um eine gegen die andere auszuspielen. Das war sein Vergnügen bis zum Schluss. Eine hat er noch vor zehn Jahren geheirate. Sie wird sich freuen, dass sie nun endlich an die Witwenrente ran kann, obgleich sie keinen einzigen Tag mit Vati zusammengelebt hat.
     
    Muttis Kräfte gehen weiter den Bach runter. Sie kann schon nicht mehr ihre Blümchen gießen und die welken Blätter von den Balkonpflanzen zupfen.
    Tanja und ich haben ihr den Stuhl näher an die Balkontür gerückt, damit sie sich wenigstens noch allein raussetzen kann. Sonst kommt sie ja gar nicht mehr an die frische Luft. Aus dem Haus geht sie schon seit einem Monat nicht mehr allein.
    Wer weiß, wie das im Oktober ist , wenn ich für einige Tage nach Berlin fahre: Meine Tanja wird „spießig“ und heiratet den Vater ihrer Kinder. Da muss ich dabei sein!
     
    Muttis neuer Fernseher hat schon wieder seinen Geist aufgegeben. So berichte ich ihr das kuriose Wahlergebnis vom 18. 09. 2005: Erstmals ist eine Frau zum Bundeskanzler gewählt worden, die Physikerin Angela Merkel! In der DDR aufgewachsen! Das muss man sich mal vorstellen!
     
    Trotz Schwierigkeiten mit der rechten Hand beantwortet Mutti ihre Geburtstagspost schriftlich. Aber jeder Brief ist wie ein Abschiedsgruß.
    Dass zwei von Vatis Kindern ihr nach Jah rzehnten der Funkstille auch geschrieben haben, das hat sie sehr gefreut und gerührt. Es ist ihr ein Herzensbedürfnis, sich dafür zu bedanken.
    Ab und zu liegen wir uns in den Armen und verdrücken eine stille Träne. Mir ist, als ob Vati den Damm zum Jenseits durchbrochen hätte. Seit  Omi Anna vor 40 Jahren in Köln starb, habe ich keinen Verwandten verloren. Ich kann mich wahrlich nicht beim Schicksal beklagen.
    „Die Götter verlassen keinen
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