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Nicht menschlich Inc.

Nicht menschlich Inc.

Titel: Nicht menschlich Inc.
Autoren: Stephanie Linnhe
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Morgen stieg ich frisch gestylt und frisiert auf den Beifahrersitz unseres Citroëns und umklammerte meine Handtasche wie einen Rettungsanker. Ich war äußerst nervös, drückte auf dem Leder herum und zerkrümelte dabei die in Frischhaltefolie eingepackten Stutenscheiben meiner Oma.
    Ich hatte wenig geschlafen und mich in den Wachphasen mit Bauchschmerzen im Bett herumgewälzt. Obwohl es mir peinlich war, wie ein Teenager von meinem Vater gebracht zu werden, war ich froh, dass er mit nach Camlen kam. Ich musste nur dafür sorgen, dass er sich rechtzeitig auf den Rückweg machte und nicht denjenigen, der mich in Empfang nahm, mit allen Fragen löcherte, die ich zuvor hätte stellen müssen.
    Ich sah in den Spiegel, bemerkte rote Flecken auf den Wangen und dass ich zu viel Mascara aufgetragen hatte. In dem Moment, als ich das Malheur beseitigen wollte, fuhren wir durch ein Schlagloch und ich pikte mir mit dem Finger ins Auge.
    Immerhin diese Sache hatte sich nicht geändert.
    »Aufgeregt?« Pa sah zu mir herüber.
    »Nein, nein. Alles okay.« Ich blinzelte wegen der Tränenflüssigkeit und wackelte mit dem Kopf wie eine nervöse Taube.
    Natürlich nahm er mir meine Unbekümmertheit nicht ab, aber er entschied sich, lieber auf den Verkehr, als auf seine Tochter zu achten, die viel zu spät bemerkte, dass sich aus ihrer Handtasche ein Strom feiner Krümel auf Rock und Strumpfhose ergoss.
    Die übrige Fahrt verlief ereignislos und schweigend. Mir war das vollkommen recht. Ich betrachtete die Ausläufer von Westburg, die nach und nach von grünen Wiesen und braunen Feldern verdrängt wurden. Menschen werkelten in ihren Gärten, Kinder brüllten und Hunde pinkelten an Zäune, während ich der Ungewissheit entgegengefahren wurde.
    Die Landstraße schlängelte sich Richtung Norden und glitzerte silbrig, als die Sonne sich mühsam über den Horizont drückte. Das Radio zeigte auf der knapp zwanzigminütigen Fahrt Erbarmen mit mir und spielte moderne Stücke, die Pa nicht ausreichend kannte, um mitzusingen. Dafür lächelte er mich regelmäßig an.
    Neben der sonnigen Landschaft war ein fröhlicher Vater das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Ich fühlte mich in diesem Moment unendlich einsam, wie die einzige Person auf der Welt, die Zweifel hegte – abgesehen von meiner Mutter, die meine Bluse als zu bieder bemängelt hatte. Gute, alte Alessia, auf sie war stets Verlass.
    Camlen grüßte uns auf seiner Hauptzufahrtsstraße wie ein Ameisenhaufen in Feststimmung. Es herrschte reger Pendelverkehr, viele Bewohner der umliegenden Städtchen hatten hier eine Arbeit gefunden und drängten sich zum Stadtkern vor. Ich starrte aus dem Fenster und beobachtete, wie die Frau mit der strengen Hochsteckfrisur im Wagen neben uns versuchte, ihr ohnehin perfektes Make-up zu verbessern. Irgendwo dahinter gähnten Gesichter.
    Zum ersten Mal war ich Teil des morgendlichen Blechstroms. Ich war nicht sicher, ob mir dieses Gefühl gefiel. Letztendlich hätte es schlimmer kommen und mich in das Rotlichtviertel einer Großstadt führen können.
    »Wir sind bald da«, frohlockte Pa.
    »Hm.« Ich hörte auf, an den Haaren zu zwirbeln. Dabei stellte ich fest, dass ich sie so fest um einen Finger gewickelt hatte, dass die Kuppe weiß geworden war. Ich zerrte meine Hand zur Seite und sie donnerte, befreit von ihrer Fessel, gegen die Fensterscheibe. Es schmerzte.
    Pa ignorierte mein unterdrücktes Gejammer.
    »Ecke Brattstraße und Williamsweg also«, meinte er in seinem Es-ist-alles-im-grünen-Bereich-Tonfall .
    »Hm.«
    »Ich lass dich dort raus, suche mir einen Parkplatz in der Nähe und warte im Auto, falls niemand auftaucht.«
    »Hm.«
    »Der minderjährige Sohn unseres Nachbarn hat mich heute Morgen gefragt, ob ich was dagegen habe, wenn er dich um ein Date bittet.«
    »Hm … was?«
    »Ich wollte nur wissen, ob du noch da bist.«
    Ich schwieg und schmollte ein wenig über sein mangelndes Mitgefühl. Selten war ich so angespannt gewesen wie auf dieser Fahrt, und er riss Witze über den Nachbarsjungen. Dabei war Lennart der ideale Grund, um hier und jetzt aus dem Auto zu hüpfen und schreiend durch die halbe Stadt zu flüchten. Schon allein die Vorstellung seines gierigen Blickes ließ meine Haut vor Entsetzen kribbeln. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, den Drang zu unterdrücken, mich zu kratzen und dabei Löcher und Laufmaschen in meine Strumpfhose zu reißen.
    Danke, Pa.
    »So.« Er stellte das Radio aus. Mein Herzschlag war mit der
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