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Niccolòs Aufstieg

Titel: Niccolòs Aufstieg
Autoren: Dorothy Dunnett
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Steuer«, antwortete Julius. »Aber -«
    »Ja, das haben wir gehört. Er ließ die Finger davon, als ihr in die Schleusenkammer eingefahren seid. Das heißt, Ihr habt gesehen, daß er die Finger davon ließ. Aber vielleicht hat er wieder ins Steuerrad gegriffen.«
    »Hat er nicht!« rief Felix.
    »Ich weiß, daß er das nicht getan hat«, bestätigte Julius unerschüttert. Aber vergebens. Er beobachtete die Blicke, die die Leichterschiffer tauschten, und wußte so sicher, als hätte man es ihm gesagt, daß die Männer seine Worte nicht bekräftigen würden, Sie konnten es sich nicht erlauben. Als ausgebildeter Jurist wußte er, daß die ganze Sache von Grund auf ungerecht war. Aus seinen Erfahrungen an den Höfen von Fürsten und kirchlichen Würdenträgern wußte er, daß Gerechtigkeit hier überhaupt keine Rolle spielte. Er hoffte, seine Arbeitgeberin, Felix’ Mutter, würde kühlen Kopf bewahren. Er hoffte, der Bischof würde sich als weniger rachsüchtig erweisen, als er zu sein schien, und er wünschte, irgendein Gott würde die seidenen Gewänder des trefflichen Simon, der unter den Blicken der Gaffer immer noch mit Katelina van Borselen tuschelte, besudeln, in Fetzen reißen oder wenigstens durchnässen.
    Auch das Dienstmädchen mit dem Eimer war noch da. Aber sie machte dem Seidenwams jetzt keine schönen Augen mehr, und ihr rundes Gesicht zeigte Besorgnis, kein verliebtes Erröten. Vielleicht spürte Claes ihren Blick. Er schaute jedenfalls auf, entdeckte sie und schenkte ihr sein hellstes Lächeln. Heilige Maria, dachte Julius. Er weiß nicht einmal, was los ist. Soll ich es ihm sagen? Daß die gesunkene Fracht ein Geschenk war - ein Geschenk Herzog Philipps von Burgund für seinen geliebten Neffen Jakob, König von Schottland. Ein Geschenk von fünfzehn Fuß Länge und großer Bedeutung. Schlicht gesagt, ein fünf Tonnen schweres Kriegsgeschütz, auf den makabren Namen Mad Martha getauft.
    Jemand schrie auf. Vielleicht, dachte Julius bei sich, war er selbst es gewesen. Dann sah er zu seiner Überraschung eine wilde Mähne braunen Haars am Bischof vorbeifliegen und erkannte Katelina van Borselen, der in ebenso schnellem Lauf Claes und ein wachsender Trupp Soldaten folgten.
    Der bärtige Mann in den langen Gewändern, der am Rand der Schleuse stand, hatte sich umgedreht. Er sah das Mädchen kommen und wollte ihr mit einem hastigen Sprung zur Seite ausweichen. Im selben Moment erkannte er, welches Ziel die Jagd hatte, und streckte den Arm aus. Der Hennin, den der Wind ihr vom Kopf geblasen hatte, kollerte ihm zu Füßen. Gerade als er sich danach bückte, sprang auch Claes, der das Mädchen überholt hatte, nach dem Kopfputz. Die beiden Männer stießen zusammen.
    Der Bärtige stürzte mit einem fürchterlichen Krachen, das rundherum zu hören war. Claes, dem die Füße eingeklemmt waren, stolperte über den Gestürzten und plumpste, eine Fontäne übelriechenden Wassers aufspritzend, wieder in den Kanal. Das Mädchen blieb stehen, warf einen unwilligen Blick zum Wasser und beugte sich dann stirnrunzelnd zu dem gekrümmt daliegenden Florentiner hinunter.
    Die Hände, die Julius so eisern festgehalten hatten, lösten sich. Felix, der ebenfalls frei war, rief: »O mein Gott!« und rannte ans Wasser. Julius folgte. Zwischen Köpfen hindurch konnte er Claes im Wasser strampeln sehen. Als der Lehrling den Kopf hob, sah er nur Katelina van Borselen an, die an den Rand getreten war, und verschwendete keinen Blick an die Soldaten, die über ihm aufgereiht standen.
    »Sie ist ganz verbogen«, sagte er mit Bedauern. Seine Worte galten der durchweichten Spitzhaube, die er fest in einer kräftigen blaufingrigen Hand hielt. Hustend musterte er sie, und dabei rann ihm das Wasser aus der Nase. Dann paddelte er vorsichtig zu den Stufen zurück und sah zerknirscht zur zerzausten Eigentümerin der Haube hinauf.
    Katelina trat abrupt zurück. Claes stieg die Stufen hinauf, Die Soldaten packten ihn. Er riß die runden Augen auf und zwinkerte, als Wasser in sie hineintropfte. Er sah erst die Soldaten an, dann wandte er sich Katelina und dem Hennin zu, der nun kein schneeweißer Kegel mehr war, sondern eine zerdrückte, blau gesprenkelte Pergamentrolle. Sie nahm ihn verwirrt entgegen.
    Claes’ Lippen öffneten sich zu dem wundervollen Lächeln, das noch jedes Dienstmädchen in Flandern verzaubert hatte. »Ich habe den Tang rausgemacht«, sagte er zu Katelina van Borselen. »Der Schlamm läßt sich leicht abwaschen, und unser
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