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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott
Autoren: Kai Meyer
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bemerkte zum ersten Mal, daß man eine Stimme fühlen konnte; ihre war wie Katzenpfoten, so unendlich leicht und sanft. »Zwischen uns und den Männern befindet sich ein Waldstück aus toten Bäumen. Wenn sie nicht gezielt nach dir suchen, werden sie uns nicht finden.«
    »Sie werden nicht suchen. Sie kennen mich gar nicht.«
    »Du bist ein Söldner.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
    »Na und?« Er wollte energisch klingen, vielleicht ein wenig zornig, aber der Versuch mißlang kläglich. »Manchmal Söldner, manchmal –«
    »Sag nicht ›Ritter‹! Du bist keiner.« Sie kicherte leise, der Lage keineswegs angemessen.
    »Nein«, erwiderte er knapp. »Kein Ritter.«
    Sie zog wieder an seiner Hand. Mit einemmal ging es sanft bergab. Ihre Schritte auf trockenem Geröll klangen hohler, die Luft wurde muffig und abgestanden.
    »Ist das eine Höhle?« Er hoffte inständig, sie würde nein sagen, denn seine Augen hatten keine Änderung der Lichtverhältnisse wahrgenommen. Schwarz blieb Schwarz blieb Schwarz…
    »Ja. Du kannst dich hier ausruhen.«
    »Nur ich? Was ist mit dir?«
    »Ich bin nicht erschöpft.«
    Er gestand sich ein, daß er sich ausgebrannt fühlte, leer und nutzlos. Von seiner Blindheit ganz zu schweigen. Außerdem war er verwundet. Ja, Hagen war erschöpft, nicht nur von der Schlacht und ihren Folgen, auch von dem Marsch zur Höhle.
    Das Mädchen war nicht einmal außer Atem.
    Hagen hörte Stoff rascheln, dann half sie ihm, sich auf den Boden zu setzen. Unter sich spürte er weiches Leinen.
    »Was ist das?«
    »Mein Mantel.« Die Richtung, aus der ihre Stimme kam, veränderte sich. Sie schien sich vor ihm niederzulassen. Wieder raschelte etwas. Es verwirrte ihn, daß er sie nicht sehen konnte. Es machte ihn zornig.
    »Beschreib mir immer, was du tust«, fuhr er sie an, grob in seiner Hilflosigkeit.
    Sie zögerte einen Augenblick, vielleicht beleidigt über seinen Ton, dann sagte sie leise: »Ich packe mein Bündel aus. Ich habe Kräuter und Salben für deine Verletzungen dabei, auch ein paar Verbände. Aber ich glaube nicht, daß sie reichen werden.«
    Ihm wurde bewußt, daß ihm zwar der ganze Körper weh tat, er aber nicht ausmachen konnte, wo er wirkliche Wunden davongetragen hatte. Er hätte sich ausziehen und von oben bis unten betasten müssen, und das würde er vor den Augen des Mädchens ganz gewiß nicht tun.
    »Zieh dich aus«, sagte sie im selben Moment.
    Er schnaubte abweisend und schüttelte den Kopf; sogleich schmerzte sein ganzer Schädel. Womöglich war er schwerer verletzt, als er angenommen hatte.
    »Wenn du es nicht tust, kann ich deine Wunden nicht behandeln.« Nun wirkte sie fast erheitert, spöttisch sogar. Ihm fiel auf, daß jedes ihrer Worte ein wenig wie Gesang klang, seltsam melodiös; es war fast, als müßte jeder ihrer Sätze mit einem Reim enden. »Wenn ich deine Wunden nicht behandeln kann, wirst du verbluten.«
    Deshalb also fühlte er sich so schwach. »Gut«, sagte er widerwillig. »Du wirst mir helfen müssen.«
    »Tue ich das nicht schon die ganze Zeit?« Ein Tonfall wie die Unschuld leibhaftig. Er stellte sich große, braune Augen vor, mochten die Götter wissen, weshalb. Er wünschte sich, er könnte erkennen, wie sie aussah. Ihr Gesicht, die feinen Hände. Ihre Lippen, über die die Worte mal spöttisch, mal sanftmütig drangen.
    Als sie ihm half, das Kettenhemd und das naßkalte Wams vom Leib zu ziehen, die hohen Lederstiefel und die Beinkleider, sogar seine Handschuhe, da wurde ihm bewußt, wie sehr er auf ihre Hilfe angewiesen war.
    »Ohne dich hätte ich es nicht geschafft«, gestand er, als er nackt vor ihr lag. Nackt auf ihrem Mantel.
    »Das war doch nur Kleidung.« Sie bestrich eine Verletzung an seinem Oberschenkel mit etwas Kühlem, das wie feuchter Waldboden roch.
    »Das meine ich nicht. Du hast mir das Leben gerettet.«
    Darauf schwieg sie, fuhr stumm mit ihrer Behandlung fort. Wortlos ließ er alles geschehen, was sie mit ihm tat. Sie bedeckte ein gutes Dutzend Wunden mit ihrer Salbe, einige bandagierte sie.
    »Was ist mit meinen Augen?« fragte er schließlich, nachdem sie sich um alles andere gekümmert hatte.
    »Willst du eine ehrliche Antwort?«
    Seine Faust schoß vor, bekam durch einen Zufall ihr Handgelenk zu packen; gut, dadurch sah er nicht allzu hilflos aus. »Sag mir, was mit meinen Augen passiert ist!«
    »Das linke wird blind bleiben, es ist so rot wie ein Herbstapfel.«
    »Und das rechte?« fragte er mit schwankender Stimme.
    »Nicht
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