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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott
Autoren: Kai Meyer
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so blutunterlaufen wie das linke. Wenn du Glück hast, wirst du in ein paar Tagen oder Wochen wieder damit sehen können.«
    Er schloß die Lider, als würde das irgend etwas zur Heilung beitragen. »Das linke, also…«
    »Bleibt blind.« Ihre Traurigkeit klang aufrichtig.
    Er bemerkte, daß er immer noch ihr Handgelenk festhielt, und ließ es schlagartig los, als hätte er sich daran die Finger verbrannt. Statt dessen tastete seine Hand vorsichtig nach ihrem Gesicht. Sie schien ihm auszuweichen, denn seine Finger fühlten ins Leere.
    Draußen vor der Höhle erklang das heisere Krächzen von Raben. Anscheinend waren sie doch nicht so weit von den Leichen entfernt, wie er geglaubt hatte. Merkwürdig, nach solch einem Marsch.
    »Wie siehst du aus?« fragte er leise.
    Ganz sanft und fast noch melodiöser als zuvor erwiderte sie: »So wie du es wünschst.«
    Das verwirrte ihn nur noch mehr. »Warum hilfst du mir?«
    »Damit du mir hilfst.«
    »Ich?« Häme kroch in seine Stimme. »Wie sollte ich irgendwem helfen können? Ich bin ein Krüppel, zu nichts mehr nütze als zum Flennen und Betteln und –«
    »Das ist nicht wahr«, unterbrach sie ihn sanft. Und wiederholte noch einmal, viel, viel leiser: »Nicht wahr.«
    Einen Moment lang wurde er unsicher, ein ungewohntes Gefühl. »Wobei könnte ich dir schon helfen?«
    Er spürte, wie sich ihre Lippen an sein Ohr senkten. »Später«, wisperte sie. Er fühlte die Wärme ihres Atems, aber als er die Hand hob, um ihre Wange zu berühren, da war sie abermals verschwunden.
    »Schlaf jetzt«, säuselte sie, so, wie Mütter es zu ihren Kindern sagen.
    Er hörte am Rascheln ihrer Kleidung, daß sie sich zurückzog und in ein paar Schritten Entfernung niederlegte.
    »Eins noch«, fragte er, als ihn bleierne Müdigkeit überkam. »Wie ist dein Name?« Es war plötzlich so schwer, die richtigen Worte zu formen.
    »Mein Name?«
    Diese Trauer in ihrer Stimme – warum nur?
    »Mein Name«, sagte sie noch einmal, und diesmal war es keine Frage.
    Hagen schlief ein, sein Bewußtsein glitt langsam davon. Trotzdem hörte er ihre Stimme.
    Das Mädchen sagte: »Nimmermehr.«
     

     
    Etwas war anders, als er erwachte. Er vermochte nicht genau zu bestimmen, was es war, aber er spürte es deutlich.
    Sie war anders. Gelöster, fast fröhlich.
    »Gut geschlafen?« fragte sie. Es roch nach aufgebrühten Pflanzen, und es war warm in der Höhle.
    »Ich koche Kräutersud«, erklärte sie.
    Hagen schlug die Augen auf. Sah nichts als Finsternis. Ein Alptraum?
    Diese Schwärze! Diese tiefe, bodenlose Schwärze! Ihm war, als stiege etwas daraus empor, wie aus einem Abgrund; irgend etwas kam ihm aus der Tiefe entgegen, brachte die Erinnerung an etwas anderes mit sich, das genauso zu ihm aufgestiegen war, vor langen, langen Jahren…
    Hagen riß den Mund auf und schrie, schlug um sich, schrie noch lauter, gellender…
    Eine zarte Hand schnellte aus dem Nichts heran und schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht.
    Er verstummte. Sammelte sich. Ganz allmählich kehrte seine Ruhe zurück, und mit ihr die Vernunft.
    Er war wach, und Nimmermehr war bei ihm.
    »Geht es?« Ihre Stimme war voller Sorge.
    Er suchte nach Worten, doch alle, die er fand, waren: »Ja, ich glaube.«
    »Ich bringe dir den Kräutersud. Er wird dir guttun.«
    Er fürchtete, sie könnte fortgehen, könnte ihn zurücklassen. Allein, gefangen im Abgrund seiner Blindheit. Im Angesicht einer lichtlosen Tiefe, in der irgend etwas lauerte.
    »Geh nicht fort!« Es war, als riefe seine Stimme ohne sein Zutun.
    »Ich gehe nicht fort. Ich verspreche es dir.«
    Sie kehrte zurück und stellte etwas mit blechernem Scheppern auf dem Felsboden ab. Ein Topf. Der Dampf, der ihm daraus entgegenschlug, war so heiß, daß er ihm den Atem nahm.
    Nachdem sie ihm etwas davon eingeflößt hatte, ging es ihm bald ein wenig besser. Sein Körper erwärmte sich, und Nimmermehr half ihm, sich aus ihrem Mantel zu wickeln und seine Kleidung überzustreifen. Er wollte auf das Kettenhemd verzichten, doch sie bestand darauf.
    »Warum?« fragte er matt. »Wer mich erschlagen will, wird sich durch ein Kettenhemd nicht abschrecken lassen.«
    »Du könntest ein wenig mehr Selbstvertrauen zeigen«, wies sie ihn zurecht. »Wenn du deinen Helm trägst, wird niemand merken, daß du blind bist.«
    Er lachte auf, ein verbitterter, böser Laut. »Bis ich über den erstbesten Stein stolpere, meinst du.«
    »Du wirst nicht stolpern. Du wirst reiten.«
    »Reiten? Auf deinen
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