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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott
Autoren: Kai Meyer
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welchem Grund?«
    »Morten braucht keinen Grund, um etwas zu tun.« Das klang wenig überzeugend, und sie bemerkte es selbst, denn gleich darauf fügte sie hinzu: »Zumindest sind es Gründe, die niemand sonst versteht.«
    Hagen schnaubte. »Hör zu, Mädchen. Wenn ich für dich kämpfen soll, dann mußt du –«
    Sie schnitt ihm mit spitzer Zunge das Wort ab: »Du sollst nicht für mich kämpfen. Du kannst gar nicht kämpfen, Hagen von Tronje – schon vergessen? Ich will nur, daß du mit mir gesehen wirst. Deine Anwesenheit allein –«
    Er riß ihr grob die Zügel aus der Hand und brachte abrupt das Pferd zum Stehen. Der Hengst gehorchte mit widerwilligem Schnauben. Obwohl Hagen nur Schwärze sah, fuhr er im Sattel herum.
    »Wenn dir daran liegt mich zu demütigen, können wir unsere Reise hier und jetzt beenden.« Er sprach leise, mit gefährlicher Eindringlichkeit.
    Sie preßte ihren Oberkörper enger an seinen Rücken, doch durch das Kettenhemd fühlte er sie kaum. Vielleicht war sie noch jünger, als er angenommen hatte. Oder einfach nur mager.
    »Du mußt bei mir bleiben.« Ihre Stimme hatte einen flehenden Unterton bekommen, der Hagen noch weniger gefiel als ihre herausfordernde Keßheit; er erinnerte Hagen daran, daß er in ihrer Schuld stand. »Es genügt, wenn man sieht, daß du bei mir bist«, fuhr sie fort. »Kein Wegelagerer wird sich heranwagen, und damit ist schon viel gewonnen. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich auf meiner Reise alles erdulden mußte. Immer auf der Flucht, wenn nicht vor Morten, dann vor Kerlen, die glaubten, ich sei Freiwild für ihre Begierde. Du mußt mir helfen, Hagen.«
    Er zögerte einen Moment, dann gab er ihr die Zügel zurück. »Ja«, sagte er nur.
    Sein Grimm war keineswegs verflogen, aber seine Ehre gestattete keine andere Entscheidung. Und noch war seine Dankbarkeit ihr gegenüber mehr als eine lästige Pflicht. Er konnte nicht abstreiten, daß er sie mochte.
    »Wie alt bist du?« fragte er, als sie weiterritten. Er hoffte, sie würde es nicht falsch verstehen.
    »Alter als du denkst.«
    »Was für eine Antwort ist das ?«
    »Eine ehrliche.« Sie kicherte spielerisch. »Aber um die ganze Wahrheit zu sagen, so genau weiß ich mein Alter gar nicht.«
    »Wer waren deine Eltern? Wo bist du aufgewachsen?«
    Es wurde allmählich zur schlechten Angewohnheit, daß sie eine kleine Ewigkeit schwieg, bevor sie sich zu einer Erwiderung auf seine Fragen durchrang. Lange ritten sie wortlos dahin, und Hagen lauschte auf den ruhigen Trab des Pferdes. Sie mußten sich wieder auf grasbewachsenem Boden befinden, denn die Hufschläge klangen gedämpfter, nicht mehr so hart wie auf Stein. Ein scharfer Wind pfiff über das Bergland. Ein Rascheln von Blättern war nirgends zu vernehmen, so daß Hagen vermutete, daß es hier keine Bäume gab.
    Er nahm sich vor, Nimmermehr zu bitten, ihm das Gelände zu jeder Zeit zu beschreiben – auch um etwaigen Hinterhalten zu entgehen.
    Bevor er aber den Gedanken aussprechen konnte, sagte sie unvermittelt: »Meine Eltern sind tot. Und tot ist auch der Ort, an dem sie lebten.«
    Er sagte nicht, daß es ihm leid tat. »Ich dachte schon, du seist vom Pferd gefallen. Ich hab dich gar nicht mehr gehört.«
    »Ich schlage dir einen Handel vor«, sagte sie.
    »Ich glaube nicht, daß ich viel für einen Handel übrig habe, den du mir vorschlagen könntest.« Sein linkes Auge begann wieder zu schmerzen. »So, wie ich es sehe, ist noch nicht einmal unser erster Handel beendet.«
    »Wie meinst du das?«
    »Du hast mir das Leben gerettet, damit ich in deiner Schuld stehe. Sie ist noch nicht abgetragen. Ist das etwa kein Handel?«
    Sie widersprach nicht, obgleich er das erwartet hatte. Das kleine Biest war aufrichtig – wenigstens in diesem Punkt. »Ich meine nicht diese Art von Geschäft«, sagte sie. »Es ist viel einfacher. Wir werden nur reden.«
    »Das tun wir doch längst.« Der Drang, sein schmerzendes Auge zu massieren, wurde übermächtig, aber der Helm war im Weg. »Ich rede zuviel und du zuwenig.«
    Sie lachte leise. »Hör zu: Du erzählst mir ein Geheimnis aus deiner Vergangenheit, und dafür wirst du eines von mir erfahren.«
    »Wer sagt dir denn, daß mir überhaupt der Sinn nach deinen Geheimnissen steht?«
    Sie ließ das Pferd langsamer laufen, wahrscheinlich wurde das Gelände wieder schwieriger. »Wir können uns auch anschweigen, bis dein Auge besser wird. Wenn dir das lieber ist…«
    Er seufzte schwer. Hoffte, das würde ihr zeigen, daß er
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