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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott
Autoren: Kai Meyer
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heimgekehrt. Dies war die Burg seiner Väter. Hier war er geboren, aufgewachsen. Hier hatte der weise Bärbart ein Stück von Hagen in einen Baum verpflanzt, und mit ihm einen Teil seines Fluches. Bärbart hatte das damals schon begriffen und war rechtzeitig geflohen. Vor dem Fluß, vor Hagen – und vor dem Baum.
    Hagen schaute sich ein letztes Mal im verwilderten Burghof um und wunderte sich, wie wenig vertraut ihm dieser Ort doch war. Es war nicht nur die Zeit, die zwischen ihm und diesen Mauern stand. Heute war Hagen ein anderer, nicht mehr der staunende Junge, dem all das groß und mächtig und unüberwindlich erschien. Welcher Feind, so hatte er damals stolz gedacht, würde diesem Bollwerk etwas anhaben können?
    Jetzt wußte er, daß er selbst dieser Feind war. Der Gedanke schmerzte, aber Schmerz war für Hagen längst ein enger Vertrauter.
    Er schaute zu Boden, als er den Burghof verließ. Er brachte es nicht über sich, den Blick der leeren Fenster und Scharten zu erwidern; er wußte, daß hinter ihnen weitere Erinnerungen schliefen.
    Nachdenklich trat er aus dem Dunkel der Burg ins Tageslicht und fühlte sich dabei, als sei er selbst ein Stück ihres Schattens, losgelöst aus der Finsternis, erfüllt von falschem Leben. Mit großen Schritten ging er zum Waldrand, durchquerte die Reihen der Bäume und stand schließlich vor einem Geländestreifen, der hüfthoch mit Ranken, Sträuchern und Büschen bewachsen war. Dazwischen blickten halbverfaulte Baumstümpfe zum verhangenen Himmel empor. Einst war dies ein Ödland gewesen, und jenseits davon, bedrohlich und krumm, stand damals wie heute die Eiche.
    Sein Baum.
    Hagen kämpfte sich durch die Wildnis, ohne die Augen von der knorrigen Krone zu nehmen. Immer noch schien sie ihm, als wollte sie die ganze Welt mit ihren Ästen umfassen. Ein kindischer Gedanke, gewiß, aber er kam zurück zu ihm wie alle anderen Empfindungen von damals. Sogar ein Hauch der alten Angst war wieder da.
    Er verdrängte alles, was ihn von seinem Plan hätte abbringen können. Entschlossen schritt er auf den Baum zu. Seine Augen suchten den Spalt der Zweiten Geburt, und, ja, da war er. Die Jahre hatten ihn in die Länge gezerrt, und die Lippenwülste an seinen Rändern waren flacher geworden. Die ganze Öffnung hatte sich verengt, als der Baum versucht hatte, die Wunde zu schließen. Vergeblich.
    Immer noch fiel kein Licht durch den Spalt. Hagen bückte sich, schaute hindurch. Das Nachtstück, das im Stamm gefangen war, schien ihn um Hilfe anzuflehen. Daran hatte sich nichts geändert, auch nicht nach über zwanzig Jahren. Hagen sah den schwarzen Himmel über den Hügeln, sah die Sterne darin glühen und flackern. Er brachte es nicht über sich, auch von der anderen Seite hindurchzublicken. Er wußte, was er sehen würde: seine Mutter, den Pfaffen Viggo, die Diener mit ihren Fackeln. Alle gefangen, festgehalten in einem einzigen Augenblick, den der Baum für sich beansprucht hatte.
    Doch das war nicht alles. Da war noch etwas, unsichtbar, aber Hagen konnte es fühlen. Es war ein Teil seiner Seele, und darin ein Teil seines Fluchs.
    Die Worte, die seine Mutter ihm in jener Nacht zugezischt hatte, traten ihm wieder ins Bewußtsein, so wie seit Wochen Tag für Tag: Fällt man den Baum, der den Geheilten geboren hat, und läßt man ihn als Teil eines Schiffes zu Wasser, so entsteht daraus ein Klabautermann. Ein Wassergeist, ein Teufel.
    Sie hatte geahnt, wie es kommen würde. Hatte es zumindest befürchtet. Ein Teufel, schlimm genug. Und schlimmer noch: mit Hagens Fluch beladen.
    Seit Zunderwald war ihm klargeworden, daß er das nicht zulassen konnte.
    Er entkorkte den Lederschlauch, den er einem fahrenden Händler abgenommen hatte. Stinkendes Öl ergoß sich über die Wurzeln der Eiche, rundherum, dann auch über die Rinde des Stammes, und so hoch hinauf in die Äste, wie Hagen es gerade noch schleudern konnte.
    Dann hockte er sich ins Gras. Mit grellem Klang schlugen die Feuersteine aneinander. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Funken sprühten.
    Der Baum stieß ein Fauchen aus wie ein wildes Tier. Vielleicht war es auch nur die Feuerlohe, die schlagartig am Stamm hinaufloderte. Flammen züngelten wie gelbe Schlangen an der Rinde empor, zwischen die Zweige, hoch in die Krone. Innerhalb weniger Augenblicke stand der ganze Baum in Flammen. Glut umhüllte ihn von den Wurzeln bis zu den Astspitzen. Eine Fahne aus pechschwarzem Rauch quoll gen Himmel, vereinigte sich mit trüben
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