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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott
Autoren: Kai Meyer
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viel schlimmer noch: die Seele selbst.

Kapitel 2
    agen!« rief eine Stimme. Sein Name. Der Junge schlug die Augen auf, blickte in ein Rund von Gesichtern. Sein Bruder Dankwart war unter ihnen, aber nur klein, ganz am Rand. Da war sein Vater, grimmig und mit aufgerissenem Mund; er war es, der gerufen hatte, und so wie es aussah, nicht zum ersten Mal. Seine Mutter stand auch dabei, verschlossen wie immer, mit grauem, unglücklichem Gesicht. Der Burgpfaffe Viggo, schmal und faltig, einer, den niemand ernstnahm. Daneben ein weiterer Mann, Bärbart, der sich auf Arzneien verstand, halb Wunderheiler, halb Gelehrter. Und natürlich Tilda, die Amme der beiden Brüder.
    »Hagen!« grollte Adalmar von Tronje erneut, und als er sah, daß sein Sohn ihn hörte, tastete sich ein rauhes Lächeln auf sein Gesicht.
    Nachdem die erste Aufregung über Hagens Erwachen abgeklungen, das Ritual des gegenseitigen Schulterklopfens vollzogen und das Lobpreisen der Tronjeschen Zähigkeit vorüber war, durfte Hagen sich im Bett aufsetzen. Tilda, die Amme, sorgte dafür, daß sich ihr Schützling dabei nicht mehr als unbedingt nötig bewegte.
    Pfaffe, Medicus und Hagens Mutter wurden aus dem Zimmer gewiesen, Tilda folgte unter leisem Widerspruch nach. Zurück blieben Graf Adalmar und seine Söhne.
    »Bärbart hat einen Baum für dich bereitet«, knurrte der Graf.
    Hagen erbleichte. Er wußte, was die Worte seines Vaters zu bedeuten hatten. Sie machten ihm angst.
    »Ich will vorerst auf eine Strafe verzichten«, fuhr Adalmar fort, in einem ganz und gar unerhörten Anflug von Großmut. »Sechs Tage hast du dagelegen wie ein besoffener Bauernknecht, das ist wohl erst einmal Züchtigung genug.« Er grummelte etwas vor sich hin, das keiner seiner beiden Söhne verstand, dann sagte er: » Wärest du wenigstens betrunken gewesen, ich könnte verstehen, was geschehen ist. Alle könnten das. Aber so? Ein wenig Wasser geschluckt, erschöpft natürlich – doch sechs Tage Bewußtlosigkeit? Keiner kann das begreifen. Entweder man ersäuft, oder man ersäuft nicht. Aber so etwas…« Er schüttelte verständnislos den Kopf.
    Nun hatte weder Adalmar von Tronje noch einer seines Hofstaates, sogar der kluge Bärbart, allzuviel Ahnung von Belangen der Gesundheit, die über Jagdunfälle und das ein oder andere Fieber hinausgingen. Doch eine Ohnmacht von sechs Tagen, ohne daran zu sterben, das war allerdings ungewöhnlich. Hagen hatte fast den Eindruck, allen wäre es lieber gewesen, er wäre gar nicht mehr erwacht – wenigstens wäre dann alles mit rechten und bekannten Dingen zugegangen.
    »Ich…« brachte er schwerfällig hervor, als müßte er erst wieder das Sprechen erlernen. »Ich… kann mich nicht erinnern.«
    »Erinnern?« fuhr Adalmar auf. »Dankwart hat mir alles erzählt. Ihr wart am Wasser, und eine Welle hat dich hineingerissen. Dankwart hat ein Pferd aus dem Stall geholt und ist der Strömung nachgeritten. Irgendwann hat er dich angeschwemmt am Ufer gefunden und nach Hause gebracht.« Er wandte sich an Hagens Bruder und hob eine buschige Augenbraue. »War es nicht so?«
    »Genau so«, bestätigte Dankwart, ohne eine Miene zu verziehen.
    Hagen schluckte. »Ja, ich glaube, jetzt fällt es mir wieder ein.«
    Die Wahrheit war, er erinnerte sich an nahezu alles – bis zu dem Moment, da das Wasser unter ihm zu gefrieren schien. Was dann geschehen war, blieb ihm rätselhaft. Er wußte noch, daß da etwas gewesen war, doch der Gedanke an die unvorstellbare Kälte des Flusses ließ ihn so sehr frösteln, daß er die Vorstellung eilig verdrängte. Aber war es wirklich die Erinnerung an das Wasser, die ihn zittern ließ? Oder war da –
    »Der Baum kann warten«, unterbrach Adalmar Hagens Gedankenfluß. Er wuchtete seinen Leib vom Stuhl und trat zur Kammertür. »Ruh dich noch ein wenig aus. Heute abend ist Zeit genug für Bärbarts Wunder.«
    Damit verließ er den Raum und zog die Tür hinter sich zu. Die Brüder lauschten seinen schweren Schritten, die sich langsam den Gang hinab entfernten. Erst als Hagen sicher war, daß sein Vater sie nicht mehr hören konnte, ließ er seine Hand vorschnellen und packte Dankwarts Unterarm.
    »Wo ist das Gold?« Seine Stimme klang jetzt viel fester und entschlossener als noch vor wenigen Augenblicken.
    Dankwart blickte erstaunt auf die blutleeren Furchen, die Hagens Finger in seinen Arm preßten. Dann schaute er seinem Bruder in die Augen. »Welches Gold?«
    Hagen starrte zurück, bis beide den Blick des anderen nicht
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