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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott
Autoren: Kai Meyer
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neidisch über seinen Sklaven, und er spülte Hagen ans Ufer, fern von Zunderwald, fern aller Gefahr.

Epilog
    s kam ihm vor, als sei der Hang seit damals steiler geworden. Steiler und schwerer zu erklimmen. Es war sein Widerwille, der ihm dieses Gefühl gab. Er hatte nicht hierher zurückkehren wollen, niemals wieder. Nun hatte er auch diesen Schwur gebrochen. Noch etwas, das falsch war. Eine Sünde, ein Frevel, ein Verrat an sich selbst. Aber einer mehr oder weniger, was bedeutete das schon?
    Mit seinem einen Auge blickte Hagen zur Ruine der Burg hinauf. Die Türme waren eingestürzt, die Dächer zerfallen, die Zinnen ausgefranst wie verschlissenes Leinen. Raben schwebten über den Mauern, vielleicht seine eigenen, vielleicht auch nur solche, die sich hier eingenistet hatten.
    Dieser Ort war seiner würdig, eine Ruine wie er selbst, ausgebrannt, zerstört. Nicht einmal Raubritter und anderes Gesindel hatten hier Quartier bezogen. Sie fürchteten die Burg; das, was davon übrig war. Und sie hätten auch Hagen gefürchtet; das, was von ihm übrig war.
    Sein linkes Auge war hinter einer schwarzen Binde verborgen, die schräg über Stirn und Wangenknochen saß. In den Wochen, die seit den Ereignissen von Zunderwald vergangen waren, war sein Gesicht noch hagerer geworden, seine Falten noch tiefer. Sein Mantel schützte ihn vor dem eisigen Wind, der ihm vom Fluß herauf folgte, doch gegen die Kälte in seinem Inneren konnte auch der Überwurf nichts ausrichten. Ihm war, als habe sich ein faustgroßes Hagelkorn in seiner Brust eingenistet.
    Vor dem Torbogen der Ruine verharrte er kurz, ein unmerkliches Zögern, der eigenen Kindheit zu begegnen. Dann trat er hindurch. Hinter dem Tunnel des Torhauses lag der Innenhof, von Gras und Brennesseln überwuchert wie eine Waldlichtung. In Fenstern und Türen hingen Schatten wie Spinnweben, allein das Flattern der Raben kündete von Leben.
    Hagen hatte sich oft gefragt, woher sein Mantel wirklich stammte. Irgendwann, vielleicht, würde er die Antwort darauf finden, ebenso wie auf die Frage, warum Nimmermehr ihm das Stück zum Geschenk gemacht hatte.
    Erinnerungen überkamen ihn, schmerzliche Bilder, in sein Gedächtnis gebrannt wie mit glühenden Eisen. Er sah sich selbst, einen Jungen, ausstaffiert wie ein Krieger. Allein auf der Flucht vor dem Grauen, das er über Otbert von Lohe und seine Familie gebracht hatte. Er hatte lange gezögert, nach Hause zurückzukehren. Doch nach einigen Wochen in der Einsamkeit war ihm klargeworden, daß er mit der Ungewißheit nicht leben konnte. Er hatte wissen müssen, ob seine Ahnungen wahr waren.
    Damals, vor so vielen Jahren, war er genauso wie heute diesen Hang hinaufgestiegen, in seinem Rücken das Geplapper der Strömung. Er hatte alles so vorgefunden, wie seine schlimmsten Träume es prophezeit hatten.
    Verlassen. Menschenleer. Die Burg nur ein Gerippe aus Stein.
    Wie hatte er jemals glauben können, der Siebenschläfer hätte ihren Pakt vergessen? Die Festung des Grafen von Lohe war nicht der erste Ort gewesen, den der Flußgeist heimgesucht hatte. Er hatte sein Zerstörungswerk dort begonnen, wo er Hagen am empfindlichsten zu treffen glaubte – zu Hause.
    Hagen aber hatte es während seiner Abwesenheit nicht einmal bemerkt. Nicht, bevor Malena und die anderen verschwanden. Wie lange waren seine Eltern zu jenem Zeitpunkt schon tot gewesen? Tage, Wochen? Oder hatte der Siebenschläfer sie gleich zu Anfang geholt, nachdem das erste Opfer ausblieb?
    Fast ein Jahr lang hatte Hagen nur für seine Selbstvorwürfe gelebt. Er war am Morgen erwacht, um sich selbst zu martern, und er war des Nachts eingeschlafen, damit die Alpträume ihm seine Fehler und Vergehen vor Augen hielten. Wie oft hatte er seinem Leben ein Ende setzen wollen, doch damit hätte er nur seine Niederlage eingestanden. Er war nicht fähig, sich selbst zu töten, und so tötete er andere. Mond für Mond für Mond.
    Nie mehr war er in all der Zeit zur Burg derer von Tronje zurückgekehrt. Er hatte Dankwart in Worms aufgesucht, das letzte Mal vor vielen Jahren, und sie hatten nächtelang über das gesprochen, was geschehen war. Doch die volle Wahrheit hatte Dankwart nie erfahren. Er mochte sie ahnen, und vielleicht war das der Grund, weshalb er Hagen gebeten hatte, in Worms zu bleiben. Er hatte ihn um sich haben wollen, hatte verhindern wollen, daß noch mehr Schaden angerichtet wurde. Dennoch hatte Hagen die Königsburg verlassen.
    Statt dessen war er nun nach all den Jahren
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