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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott
Autoren: Kai Meyer
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half, Runolds Gold aus dem Haus des Vorstehers zu holen und in den Fluß zu werfen, konnte er wirklich nichts anderes tun, als sich vor dem Hochwasser auf irgendeinem Dachboden zu verkriechen.
    Hagen gestand sich endgültig ein, daß er in Zunderwald gefangen war.
    Selbst wenn Nimmermehr zurückkehrte – er konnte ihr schwerlich noch einmal vertrauen. Andererseits war sicher sie es gewesen, die die beiden Wachen überwältigt hatte, damit es so aussah, als sei Hagen schwimmend ans Ufer geflohen. Damit hatte sie zumindest dafür gesorgt, daß nicht mehr nach ihm gesucht wurde.
    »He!« sagte eine Männerstimme. »Blinder Mann!«
    Hagen blieb stehen. Schützend hob er den Stock wie ein Schwert. Die Bewegung mußte mehr als lächerlich wirken.
    Er war ihnen direkt in die Falle gelaufen!
    »Ich mag blind sein«, gab er so kühn wie nur möglich zurück, »aber ihr werdet kein leichtes Spiel mit mir haben.«
    Ein Moment des Schweigens verging, dann war die Stimme ganz in seiner Nähe. »Wollt Ihr einem Mann Gottes drohen?« fragte sie sanft.
    »Jedem, der es wagt, näher zu kommen.«
    »Nun, ich bin näher gekommen. Aber nicht, um Euch zu schaden. Ihr seht aus, als könntet Ihr Hilfe gebrauchen – meine bescheidene und die unermeßliche des Herrn.«
    Hagen ließ sich von den Worten des Mannes nicht beirren. »Sprecht Ihr von der gleichen Art von Hilfe, die Ihr Runold habt zukommen lassen?«
    »Wüßte ich, wer Runold ist, könnte ich Euch darauf eine Antwort geben, mein Freund.«
    Hagen mußte sich eingestehen, daß dies nicht wie die Stimme eines aufgebrachten Mörders klang. Zudem schien der Sprecher allein zu sein. Es gab weder Gemurmel im Hintergrund noch das Scharren von Füßen. Nur die warmherzigen Worte eines einzigen Mannes.
    »Ihr seid ein Mann des Christengottes?« fragte Hagen argwöhnisch.
    »In der Tat. Und ich habe so oft Nächstenliebe gepredigt, daß ich Euch schwerlich allein hier draußen stehenlassen kann. Das Hochwasser wird bald die ersten Häuser erreichen.«
    »Ist es Nacht?«
    »Stockfinstere noch dazu«, gab der Priester zur Antwort. Der Stimme nach war er nicht mehr jung. »Laßt mich Euch in meine Unterkunft führen. Dort können wir ausharren, bis die Gefahr vorüber ist. Es gibt sogar Vorräte im Überfluß. Aber sagt, mein Freund, wie ist Euer Name?«
    »Ich bin Hagen von Tronje.«
    Eine Hand legte sich sanft auf Hagens Unterarm. Er zuckte kurz, ließ dann aber geschehen, daß der Priester ihn führte. Nach einigen Schritten sagte der Mann: »Mich nennt man Bruder Morten.«
    Hagen blieb wie vom Blitz getroffen stehen, öffnete den Mund – und schloß ihn wieder. Es war besser, er würde sich nichts anmerken lassen.
    »Seid Ihr aus Zunderwald?« fragte er statt dessen als sie weitergingen.
    »Nur auf der Durchreise.«
    »Im Auftrag des Herrn, nehme ich an.«
    »Aber ja.«
    »Weshalb seid ihr nicht vor dem Hochwasser geflohen wie alle anderen?«
    »Der Wille des Herrn hat mich hierher entsandt, und ich werde bleiben, bis der Herr mich von hier abberuft. Der Dorfvorsteher war so freundlich, mir für die Zeit meines Aufenthalts sein Haus zur Verfügung zu stellen.«
    Hagen blieb gefaßt. »Ihr wohnt im Haus des Vorstehers?«
    »Auf dem Dachboden. Man sagte mir, ich sei dort sicher vor dem Hochwasser. Aber vielleicht wird es gar so arg nicht kommen. Ich habe das Dorf gesegnet, damit ihm das Schlimmste erspart bleibt.«
    »Ihr glaubt, Euer Segen kann das Wasser zurückdrängen?«
    »Wenn es der Wille des Herrn ist, ja.« Schmunzelnd fügte er hinzu: »Moses hat ein ganzes Meer verdrängt, als Gott ihm die Macht dazu gab.«
    Hagen wußte nicht, wer Moses war, aber er hielt es für sehr unwahrscheinlich, daß irgendwer Macht über ein Meer haben konnte. »So seid Ihr nach Zunderwald gekommen, um die Worte der Bibel zu verkünden?« fragte er.
    Bruder Morten zögerte einen Moment. »Für Segen und Predigt ist immer Zeit, ganz gleich wohin meine Mission mich führt. Aber was ist mit Euch selbst, Hagen von Tronje? Ihr scheint gleichfalls fremd hier zu sein.«
    »Ein Mann namens Runold hat mich gezwungen, ihn hierher zu begleiten.«
    Der Priester verharrte. »Ihr meint den Mann, der von den Dorfbewohnern hingerichtet wurde? Lieber Himmel, Ihr müßt mir glauben, daß ich versucht habe, seinen Tod zu verhindern.« Er klang jetzt ehrlich aufgebracht, und der Druck seiner Finger auf Hagens Unterarm wurde kräftiger, fast schmerzhaft. »Sie wollten nicht auf mich hören, sagten, er sei ein Sünder vor
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