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Nibelungen 01 - Der Rabengott

Nibelungen 01 - Der Rabengott

Titel: Nibelungen 01 - Der Rabengott
Autoren: Kai Meyer
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Gott.«
    »Nicht vor dem Euren«, entgegnete Hagen. »Sein Vergehen war es, Menschen zu Göttern zu machen – zumindest ließ er die Leute das glauben. Er hat einen schönen Batzen Gold damit verdient, wie ich hörte.«
    »O ja«, stöhnte Bruder Morten. »Das hat er wohl. Die Dorfbewohner haben es sichergestellt und im Haus des Vorstehers untergebracht. Ich erklärte ihnen, daß auch das eine Art der Sünde wäre, aber sie stritten es ab. Schließlich versprachen sie mir, es den Vertretern der christlichen Kirche zukommen zu lassen.«
    »Also Euch«, bemerkte Hagen. »Mir?« fragte Morten entsetzt. »Der Herr bewahre mich vor solchen Gaben. Nein, ich könnte es auf meinen Reisen nicht einmal tragen, geschweige denn ausgeben. Ich bin ein bescheidener Mensch. Gold ist eher für die Kirchenherren bestimmt, für den Bau neuer Gotteshäuser.«
    »Der Vorsteher hat Euch tatsächlich versprochen, das Gold solch ehrbaren Zwecken zukommen zu lassen?«
    »Er leistete einen Eid auf die Bibel.«
    »Welch großzügige Geste.«
    »Allerdings, mein Freund, allerdings.« Hagen wurde nicht schlau aus seinem Führer. Wenn dies der Morten von Gotenburg war, vor dem Nimmermehr solche Angst gehabt hatte – und daran konnte eigentlich kein Zweifel bestehen –, wie ließ sich ihre Beschreibung dann mit dem Mann vereinbaren, der jetzt neben ihm ging?
    »Sagt«, bat Hagen, »wie ist Euer voller Name?«
    »Er wird Euch nichts sagen. Ich stamme aus dem Geschlecht derer von Gotenburg. Warum wollt Ihr das wissen?«
    »Mir war, als hätte ich schon von Euch gehört.«
    »Ihr scherzt!« Der Priester wirkte erfreut. »Dann eilt mir die Lehre Gottes voraus?«
    Hagen zögerte. »Ja, so könnte man es nennen.«
    Morten schien seine Zurückhaltung nicht zu bemerken. Statt dessen redete er weiterhin fröhlich drauflos. Von seinen Reisen sprach er, von den zahllosen Sünden, die er auf seinem Weg hatte mitansehen müssen, aber auch vom Guten in den Menschen, selbst in jenen, denen man es nicht ansah.
    Als Bruder Morten stehenblieb und eine Haustür öffnete, tat Hagen, als stolpere er. Dabei ließ er sich gegen den Priester fallen und fuhr wie zufällig mit der freien Hand über dessen Gewänder.
    »Wartet, wartet, mein Freund«, rief Morten aus und klang vergnügt. »Das Haus läuft uns nicht fort.«
    Morten trug einen langen Umhang oder Mantel, vielleicht auch eine weite Kutte. Aber winzige Teufel, wie Nimmermehr gesagt hatte, saßen keine darunter. Morten schien nichts weiter zu sein als ein untersetzter, ja geradezu kleinwüchsiger älterer Mann, der zu Leibesfülle neigte; eine Gestalt, wie Hagen sie schon zu Dutzenden in den Klöstern der Christenorden gesehen hatte.
    Der Priester führte ihn vorsichtig eine enge Holztreppe hinauf, dann eine zweite, bis sie auf dem Dachboden des Hauses standen. Es roch nach Tuch und Kleidung, die hier oben zum Trocknen aufgehängt wurden, nach Staub und Holz und kaltem Rauch.
    »Seid so gut und beschreibt mir Eure Kammer, Bruder Morten«, bat er.
    Der Priester half ihm, sich auf einem Schemel niederzulassen. »Es ist keine wirkliche Kammer, nur der hohle Giebel des Hauses. Der Dachboden ist ziemlich groß, aber der Vorsteher und seine Familie haben all ihren Besitz hier oben verstaut, und so ist nicht allzuviel Platz übriggeblieben. Es gibt ein offenes Kaminfeuer, außerdem hängen überall Laken und Decken.« Er lachte leise. »Es soll aussehen, als seien sie von der letzten Wäsche übriggeblieben. Aber ich vermute, der Vorsteher ließ sie aufhängen, damit sie sein Hab und Gut vor meinen Blicken schützen.«
    »Er hat Euch kein Bett unten im Haus angeboten?«
    »Das wäre mir nicht recht gewesen. Die Kargheit dieses Speichers läßt mich nur noch inniger Gottes Nähe und Wärme spüren.«
    Am Rascheln der Kleidung hörte Hagen, daß auch Morten sich irgendwo hinsetzte.
    »Bewahrt Ihr das Gold hier oben auf?« fragte Hagen.
    »Ihr wollt es doch nicht stehlen, nicht wahr?« Einen Moment lang klang der Priester erschrocken, dann aber lachte er beschämt. »Verzeiht mir, Freund Hagen, ich vergaß Eure Blindheit… Ihr müßt mein Mißtrauen entschuldigen, gerade einem Kranken wie Euch gegenüber, aber –«
    »Ich bitte Euch«, unterbrach Hagen ihn rasch. »Ihr habt mich gerettet. Wie könnte ich Euch etwas übelnehmen?«
    »Habt Dank, mein Freund. Was das Gold angeht… es liegt gleich neben Euch, ein ganzer Sack voll.«
    Hagen streckte die Hand aus und ertastete tatsächlich nach kurzer Suche grobes Leinen,
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