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nevermore

Titel: nevermore
Autoren: Heike
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Zuckrigkeit überzogen, als sie sagte: »Wenn du ihn aaaaanruuuuufst, kommt er bestimmt vorbei und holt dich aaaabbb.«
    »Ich kann nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Ich muss ... Ich habe einen Termin beim Zahnarzt.« Und schon war die Lüge draußen, bevor Isobel auch nur den Versuch machen konnte, sie herunterzuschlucken.
    »So ein Mist«, meinte Nikki, aber Isobel konnte an ihrem Tonfall erkennen, dass sie ihr nicht glaubte. Nein, Nikki kannte sie viel zu gut, und Isobel war klar, dass sie beide wussten, dass sie die Ausrede nur erfunden hatte, um Brad gegenüber nicht nachgeben zu müssen.
    Natürlich war da auch noch die unbedeutende Tatsache, dass sie Nikki nicht sagen konnte, dass sie andere Pläne hatte. Und vor allem, mit wem. Obwohl das Ganze ja eigentlich gar nicht von ihr ausgegangen war.
    Isobel schüttelte den Kopf und zog die Augenbrauen hoch. Es war ein seltsames Gefühl, nur wegen eines doofen Projekts ihre Freunde anlügen und Verstecken spielen zu müssen.
    »Na dann«, sagte Nikki und brach damit das unangenehme Schweigen.
    Isobel betrachtete mit gerunzelter Stirn die Knitterfalten in ihrer pinken Bettdecke. Ein unangenehmes Schweigen zwischen ihr und Nikki hatte es noch nie gegeben.
    »Wie auch immer«, fuhr Nikki fort, »wenn du früher fertig bist oder so, dann ruf mich auf dem Handy an.«
    Das hieß übersetzt so viel wie: Ruf mich an, wenn du es dir anders überlegst oder endlich beschließt, nicht mehr eingeschnappt zu sein.
    »Okay, bis dann«, murmelte Isobel.
    »Bis dann.«
    Es entstand eine Pause, so als wollte keine von ihnen das Gespräch beenden.
    »Tschüss«, sagte Nikki.
    »Tschüss«, antwortete Isobel und versuchte, fröhlicher zu klingen, als ihr zumute war.
    Sie wartete, aber diesmal legte Nikki auf.
    Am Nachmittag fuhr ihr Vater Isobel zur Bibliothek. Er setzte sie am Nebeneingang ab, bei der alten Statue von Abraham Lincoln mit dem feierlichen Gesichtsausdruck, und sagte, dass er sie nach seinem Friseurtermin so gegen drei wieder abholen würde.
    Isobel lief eilig die Treppe hoch und hielt sich kaum damit auf, ihrem Vater zum Abschied zu winken, bevor sie die Bibliothek betrat, um nach Varen zu suchen.
    Nachdem sie fast eine Viertelstunde damit verbracht hatte, die Magazine zu durchforsten und die Leseräume abzusuchen, spürte sie ihn endlich im zweiten Stock auf.
    Es war offensichtlich, dass er mit Absicht einen Platz weitab vom Schuss, in einer abgelegenen Ecke gleich hinter dem 9. Jahrhundert, gewählt hatte. Isobel war ziemlich verärgert darüber und legte ihre Handtasche demonstrativ auf einen Tisch genau gegenüber von dem, an dem Varen saß und in einem riesigen aufgeschlagenen Wälzer las.
    Er blickte nur mit den Augen auf, sein Kopf bewegte sich keinen Millimeter. Der warme Schein der Schreibtischlampen lief flüssig und weich an seinem Lippenpiercing herab.
    Isobel zeigte auf ihn und machte eine kleine Welle mit ihrem Finger. Ha, hab dich gefunden, sollte das heißen.
    Er starrte sie immer noch an, als sie sich ihm gegenüber in einen gepolsterten Drehstuhl fallen ließ. Sie musterte den gewaltigen Schmöker, in den er versunken gewesen war.
    »Also.« Sie räusperte sich. »Was machen wir?«
    Er schwieg, als bräuchte er Zeit, um darüber nachzudenken, ob er sie außer Sichtweite verbannen sollte oder nicht.
    »Wir«, sagte er schließlich, »machen unser Projekt über Poe.« Er drehte das riesige Buch um, schob es zu ihr und zeigte auf ein fingernagelgroßes Schwarz-Weiß-Foto.
    Es war das Porträt eines hageren Mannes mit einer hohen Stirn, störrischem Haar und einem kleinen schwarzen Schnurrbart. Seine Augen schienen gleichzeitig traurig, verzweifelt und wild. Tief liegend und von riesigen dunklen Kreisen umgeben sahen sie so aus, als würden sie vor lauter Sorge schmerzen. Auf Isobel wirkte er wie ein adrett angezogener Geisteskranker, der ein Nickerchen vertragen konnte.
    Sie sank tiefer in ihren Stuhl und zupfte an den Buchseiten. »Hat der nicht seine Cousine geheiratet oder so was?«
    »Dieser Mann ist ein Literaturgott und das ist alles, was dir dazu einfällt?«
    Sie zuckte mit den Schultern und nahm ein Buch von dem Stapel auf dem Tisch. Sie öffnete es, blätterte darin herum und schaute zu Varen. Er kritzelte etwas auf einen gelben Schreibblock, der auf seinem schwarzen Notizbuch lag. Ihr Blick fiel auf das Buch und sie fragte sich, ob es eine Art Tagebuch war und warum er es überallhin mitnahm.
    »Wer ist denn Lenore?«, fragte sie und blätterte eine
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