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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman
Autoren: Stefanie Zweig
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Hotels von Kapstadt – sehr wohlhabend, sehr zufrieden und sich stets Gottes Segen bewusst. Er war ein liebevoller, verliebter Ehemann und so stolz auf seine drei Söhne und die zwei Töchter, wie es in der alten Heimat sein frommer Vater auf seine vielen Kinder gewesen war.
    Trotz der langen Schiffsreise, der immensen Kosten und der wirtschaftlichen Not im zerstörten Nachkriegsdeutschland hatten Alice und Leon mit allen Kindern zu Betsys fünfundsiebzigstem Geburtstag kommen wollen, doch Alice war unmittelbar vor dem Kauf der Schiffskarten zum fünften Mal schwanger geworden. Nun schrieb sie wieder lange, heimwehkranke Briefe. Ihr Mann versäumte es nie, die ihm unbekannte Schwiegermutter persönlich zu grüßen. Er nannte sie Mother Betsy (seine eigene Mutter und seine jüngste Schwester mit drei Kindern waren in Lodz ermordet worden). Die Söhne Zuckerman – David, Aby und Rafael – versäumten es nie, für die unbekannte »Granny« Bildchen und viele Kreuze zu malen. Jedes Kreuz stand für einen Kuss. Von ihrer Großmutter mütterlicherseits gab es im Hause Zuckerman lediglich ein einziges Foto, eine vergilbte Aufnahme aus dem Jahr 1917. Betsy hatte die kleine Alice, damals zwei Jahre alt, auf dem Arm. »Wir müssen unser so heiß ersehntes Wiedersehen vertagen, bis unsere Vicky keine Windeln mehr braucht«, hatte Alice soeben in ihrem Brief zu den hohen jüdischen Feiertagen geschrieben. »Leider lässt sich die Prinzessin damit verdammt viel Zeit. Mehr als die anderen vier zusammen. Ich habe ihr gedroht, dass ich sie allein zu Hause beim Hund und der Nanny lasse, wenn sie nicht spurt. Vicky war das ganz recht. Sie lutschte ungerührt am Ohr unseres engelsgeduldigen Spaniels weiter, aber du hättest mal das Protestgeheul ihrer Brüder hören sollen. Alle drei vergöttern ihre jüngste Schwester, und nun fängt unsere Rachel auch damit an, der Kleinen alles nachzugeben. Wie hast du es nur mit mir ausgehalten, Mutter? Ich war doch auch ein Nesthäkchen. Eine ganz abscheuliche Person, wenn ich mich recht erinnere. Hoffentlich werden meine Töchter nicht so eitel, faul und selbstsüchtig, wie ich es war, aber erzieh du mal Kinder in einem Land, in dem man so viel Personal hat, dass sich jedes Kind wie Graf Koks persönlich aufführt. Neulich bin ich genau zur rechten Zeit dazugekommen, um Rachel mit einem ordentlichen Klaps Mores zu lehren. Die zweijährige Miss Zuckerman hatte der schwarzen Nanny mit Geschrei zu verstehen gegeben, ihren Ball vom Boden aufzuheben. Und in was für einer Lautstärke! Mir ist richtig übel geworden.«
    Betsys war in Gedanken noch bei der forschen Enkelin mit dem Kolonialgehabe, als sie zwei gekochte Eier aus ihrer Schürzentasche holte. »Arme Alice«, sagte sie. »Ich hatte auch fünf Kinder, aber in vernünftigen Abständen.«
    »Du hattest keinen orthodoxen Mann«, rechnete ihr Fritz vor.
    »Hoffentlich sind die Eier weich. Das haben unsere feinen neuen Eierbecher verdient. Ich habe seit Jahren keine weichen Eier mehr gekocht. Seit damals nicht«, meinte Betsy.
    »Setz dich endlich hin, Oma. Ich kann das gar nicht sehen, wie du herumrennst und uns bedienst. Den Kaffee hol ich und alles andere, was fehlt, ebenfalls. Ich gehe bis zur Hauptwache oder zum Huthpark, wenn’s nötig ist. Hans hätte Sophie und mich aus dem Hause gejagt, wenn wir bei Tisch sitzen geblieben wären und Anna die ganze Arbeit überlassen hätten. ›Arbeit gibt Brot, Faulheit gibt Not‹, hat er immer gesagt. Ich habe mir das fürs Leben gemerkt. Außerdem habe ich mir was dabei gedacht, wenn ich die Erste bin, die aus der neuen Kanne ausschenkt.«
    Fanny drückte die weiße Kaffeekanne für sechs Personen an die Brust. »So eine vornehme Kanne, die Tassen, große und kleine Teller, Schüsseln, Platten und Eierbecher in ihrem Hofstaat hat, habe ich noch nie in der Hand gehabt. Bestimmt ist das Ganze nur ein Traum, ein ganz mieser Teufelstrick.«
    »Nein«, widersprach Betsy. »Geplatzte Träume sehen anders aus. Ganz anders. Auf die bin ich spezialisiert. Schaut euch gut um. Überall Schlaraffenland. Wir sollten ein Tischgebet sprechen, damit Gott nicht auf die Idee kommt, dass wir nicht wissen, wem wir zu danken haben. Weiche Eier für jeden«, zählte sie auf, »Butter, so viel wir wollen, Orangenmarmelade aus Südafrika, echter Bohnenkaffee, der mehr von der Welt gesehen hat als wir drei zusammen, und exakt die gleiche Kaffeekanne von Rosenthal wie früher. Es gibt eben doch Dinge zwischen Himmel und
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