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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman
Autoren: Stefanie Zweig
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drei Kinder im Ausland – Clara, Erwin und Alice. Seit sie wieder in der Rothschildallee sein durfte, ging ihr vor allem Claudette, Claras Tochter, nicht aus dem Sinn. Die im Jahr 1918 unehelich geborene Claudette hatte zur Verblüffung sämtlicher Verwandten und zum Unverständnis von Freunden und Bekannten, die ja alle wussten, was der siebzehnjährigen Clara widerfahren war, einen besonderen Platz im Herzen ihrer Großeltern gehabt. Theo Berghammer, als politisch Belasteter soeben zugunsten seiner ehemaligen Hauswirtin aus der Wohnung gewiesen, war Claudettes Vater. Clara mit den auf einen Schlag vernichteten Träumen von Studium, Beruf und neuer Frauenfreiheit hatte ihre Beziehung zu Theo jedoch nie zugegeben. Von ihren Eltern finanziell unterstützt und moralisch nicht verurteilt, von ihrem Zwillingsbruder Erwin so verehrt und geliebt wie in der Kindheit, hatte sie mit der kleinen Tochter in der Zweizimmerwohnung im vierten Stock gelebt. Claudette war mehr bei den Großeltern als bei der Mutter gewesen. Sie war fantasievoll, sanft und anlehnungsbedürftig, trotz ihrer Fröhlichkeit aber scheu und schnell gekränkt. Bei der Auswanderung nach Palästina war sie neunzehn Jahre alt, eine schöne Kindfrau mit Wespentaille, langen Beinen und verzaubernden Augen. »Was wünschst du dir zum Geburtstag, Claudette?« – » Dass mein Hund sprechen kann.« – »Und was, wenn du groß bist?« – »Zwei Hunde, die sprechen können.«
    Für Betsy blieb ihre erste Enkelin »das Claudettche«, das ihren Großvater vergöttert und »Opa Bär« genannt hatte. In ihrem Onkel Erwin, dem ewigen Bohemien, rief sie Vatergefühle und Verantwortungsbewusstsein wach. Johann Isidor stand seine erste Enkelin näher, als es je die eigenen Töchter getan hatten; er erfüllte ihr jeden Wunsch und mit Lust jene, die ihr die Mutter abschlug. Zum letzten Mal sah er sein Claudettche am Frankfurter Hauptbahnhof. Sie stand am Fenster des Zugs nach Genua und hatte rot geweinte Augen. Ab diesem Tag wurde aus dem unbeugsamen Handelsmann Sternberg, der jede Schikane der Nazis ertragen hatte, ohne seiner Angst nachzugeben, ein gebrochener Mann.
    »Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgegeben, Johann Isidor. Vielleicht kommen sie eines Tages zurück. Alle drei.«
    »Vielleicht, aber nicht zu mir. Gott hat noch nie einen kranken alten Juden am Leben gelassen, damit er sein Enkelkind wieder sieht.«
    Zwischen die Suppendosen mit den Küchenkräutern hatte Betsy eine kleine Figur aus Ebenholz gestellt – eine afrikanische Frauenschönheit in einem weiten roten Stoffrock und mit baumelnden Ohrringen aus winzigen bunten Perlen. Auf dem Kopf trug die junge Frau einen Bastkorb mit Bananen, Orangen und violett leuchtenden Weintrauben. Alice hatte die originelle Holzfigur zum fünfundsiebzigsten Geburtstag ihrer Mutter im vorigen Jahr aus Südafrika geschickt. Wann immer Betsy die Liebesbotin aus Kapstadt betrachtete, zerfraßen sie Sehnsucht und Ungeduld. Es war nun elf Jahre her, seitdem sie ihrem jüngsten Kind im Hamburger Hafen »Lebewohl für immer« zugerufen hatte. Zweiundzwanzig war Alice bei ihrer Auswanderung nach Südafrika und kein einziges Mal von zu Hause weg gewesen. Bis ihre Eltern und ihre Schwester mit Salo aus Frankfurt deportiert wurden und das Band zur Heimat zerschnitten wurde, schrieb sie jede Woche einen langen, heimwehkranken Brief.
    Alice hatte Leon Zuckerman, einen ernsthaften, ehrgeizigen und frommen jungen Mann, noch in Frankfurt kennengelernt. Zunächst war sie seinetwegen jeden Samstag in die Synagoge gegangen und ihm dann, trotz der Bedenken ihrer Eltern, nach Südafrika gefolgt. Als die beiden heirateten, hatte der Bräutigam schief gelaufene Absätze und die Braut roch nach der scharfen Kernseife, die feine Leute noch nicht einmal ihrer Kochwäsche zumuteten. Der Rabbiner, der sie traute, schenkte ihnen Geld, damit sie die erste gemeinsame Nacht in einem Hotel verbringen konnten, und wünschte ihnen eine von vielen Kindern gesegnete Ehe. Neuneinhalb Monate darauf kam der kleine David zur Welt. Da verdiente sein Vater bereits genug, um selbst den Mohel für die Beschneidung zu entlohnen. Ob in Zeiten der Not oder im Erfolg, Leon ging keinen Meter vom gottesfürchtigen Weg seines Vaters ab. Er scheute keine Arbeit, nahm jede Herausforderung an und verlor nie den Mut. In Deutschland hatte er Kinderarzt werden wollen. Zehn Jahre nachdem er seinen Fuß auf afrikanischen Boden gesetzt hatte, war er Manager in einem der bekanntesten
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