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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung
Autoren: Michael Gantenberg
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interessiert mich. Alles in Butter, auch für Lügen und andere schlimme Dinge ist hier kein Platz. Ich trage einen Fummel, der mehr zeigt, als er versteckt, aber noch genügend Raum für Phantasie und männlichen Entdeckerstolz lässt. Männer sind ja so dankbar, wenn sie was entdecken können und dann auch noch behaupten dürfen, es ganz alleine geschafft zu haben. Die ersten Knöpfe meiner dunkelroten Bluse sind reine Dekoration und haben sich von ihren Knopflöchern zentimeterweit entfernt. Die verbliebenen Knöpfe sind anstandshalber verschlossen, noch ist die Zeit nicht reif für textile Entdeckungsreisen. Ich will erst mal wieder nur genießen und schenke uns alle Zeit dieser Welt. Und deshalb interessieren wir uns gemeinsam verschwenderisch lange für die Karte dieser schrecklich hippen Kaffeebar, die uns weismachen will, dass Kaffee erst dann richtig schmeckt, wenn von der Grundsubstanz keine Spur mehr da ist. Und je weniger davon da ist, desto teurer wird er dann auch, logisch.
    Angelo bestellt sich einen Espresso und ich auch. Beim Kaffee sind wir uns schon mal einig. Viel Grundsubstanz und maximale Wirkung.
    »So, nun sag doch mal, warum wolltest du dich unbedingt mit mir treffen?«, grinst Angelo mich an.
    »Das möchtest du wissen?«
    »Das möchte ich wissen.«
    Angelo grinst betörend unverschämt, so wie einer dieser Klinikärzte in einem amerikanischen Fernseh-Krankenhaus, in deren Gegenwart selbst ein Hautkarzinom noch nett aussieht.
    »Wenn ich dir jetzt die Wahrheit sage, habe ich ja mein ganzes Pulver schon verschossen«, grinse ich zurück, nicht ganz so telegen, aber mit jeder Menge Vorankündigung.
    »Da bin ich aber mal gespannt!«
    Angelo schafft es, sein Grinsen noch erotischer wirken zu lassen, als es gesetzlich erlaubt ist.
    Mein Blutdruck schießt in die Höhe. Angelos Augen sind Lava, und ich ... ich, ich hasse mich dafür, wenn ich derartig ins Schwärmen gerate, auch nach all den Jahren, aber ja ... ich schmelze dahin, wie Softeis in einer finnischen Sauna.
    »Du hast sehr schöne Augen, Hannah.«
    Himmel, er meint es ernst. Angelo mag meine Augen wirklich. Nicht wie diese Deppen, die einem das Schönste auf Erden zusäuseln, um den Weg zum Allerheiligsten so schnell wie möglich zu ebnen. Ich weiß, wovon ich rede, ich bin der fleischgewordene Lügendetektor.
    »Ehrlich?« Ich beiße mir auf die Lippen. Natürlich war das ehrlich, geht’s denn noch blöder? Zum Glück weiß er ja nichts von meiner Gabe.
    »Du erinnerst mich an ...«
    Nein, bitte sag es nicht. Nicht Schwester, nicht Ex-Freundin und schon gar nicht Mutter. Von mir aus sollen dich meine Augen an dein verstorbenes Meerschweinchen erinnern oder deinen Lieblingsteddy oder...
    »Giovanni.«
    »Giovanni?«
    » ... meinen Freund, Giovanni!«
    Patsch. Die Lava ist zum Stillstand gekommen. Mein Schmelzprozess abrupt beendet. Angelo ist entzaubert. Zumindest für mich. Mein Ex-Lieblingskellner ist kein Hetero.
    Angelo sagt die Wahrheit. Ich erkenne sie, konnte sie nur diesmal nicht vorhersagen. Ist das der erste Schritt zu einem normalen Frauenleben? Hatte ich mir anders vorgestellt.
    Mein Vater schaltet sich ein. Seine Hand tätschelt tröstend meinen Rücken, ich drehe mich aber nicht um. Gott sei Dank, wenn man das sagen darf, kann Angelo ihn nicht sehen.
    »Verdammt!«
    Die Hand hinter meinem Rücken erlaubt sich einen väterlichen Klaps. Ich bin kurz vor einer katatonischen Starre.
    »Was ist?«
    Angelo hat, ehrlich, nicht den Hauch einer Ahnung.
    Eine kleine, den Umständen entsprechend deutlich zu gutgelaunte Kaffeemaus stellt die Espressi auf unseren Tisch.
    »Grazie!«
    »You’re welcome!«
    Ich will jetzt nur noch zahlen und weg. Ganz schnell weg.

Ich und die Kollegen
    »Ich brech ab ... nimmt die einen, der auf Männer steht, so was muss man doch merken ... die Kleine hat ja null Plan!«
    Siggis Kommentar war so schlicht wie seine Schreibe. Der selbsternannte König der 40 -Zeilen-Plattitüden, Siggi Bennecke, legte die Zeitung auf seinen Schreibtisch. Wie immer hatte ihm niemand zugehört, und wie immer störte ihn das überhaupt nicht, denn Siggi war ja auch wie immer sein eigenes Publikum. Er war der Mann, der sich Applaus spenden und selber Fanpost schreiben würde, wenn es nicht so wahnsinnig peinlich aussähe. Siggis bester Freund war der Spiegel auf unserer Redaktionstoilette, ein alter Alibertschrank, dessen verspiegelte Flügeltüren bei entsprechender Winkeleinstellung und Frontaleinblick des Betrachters
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