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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung
Autoren: Michael Gantenberg
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unmittelbar. Jetzt! Und das kann sie nur, wenn sie auch jetzt stattfindet. Die Messias ist mitten unter uns. Ist doch einleuchtend, oder? Sie passiert in diesem Augenblick. Da draußen! So wie unsere Geschichten. Die ziehen wir doch auch nicht aus der
Wochenschau
. Unsere Leser müssen das Gefühl haben, dieser Messias jederzeit begegnen zu können.«
    Ich schwieg, was Besseres gab es nicht in dieser Situation. Ein Sprung aus dem Fenster wäre eine Alternative gewesen, aber am Ende dann doch eine Spur zu dramatisch.
    »Du musst mit der Messias auf Augenhöhe sein, auch zeitlich. Ist doch klar: maximale Identifikation.«
    Jetzt fühlte ich mich stark genug, um zu reagieren.
    »Es gibt eine ganze Menge Geschichten, die nicht im Präsens geschrieben wurden und ...«
    »Nicht in meiner Zeitung!«
    »Aber das ist ja ein Roman, ich bin mir nicht sicher, ob ...«
    »Ich bin mir sicher. Ganz sicher. Präsens. Punkt!«
    Masuch lächelte, wie ein Vater, dessen Aufforderung, das Kinderzimmer aufzuräumen, ganz lieb gemeint war, aber keinerlei Spielraum für Diskussionen ließ.
    »Das ...«
    »Punkt!!!«
    Mit einem gewaltigen Ausrufezeichen banden sich nun unzählige Alkoholmoleküle an sämtliche Rezeptoren meines Gehirns und veränderten mit virtuoser Radikalität die Impulsübertragung zwischen den Nervenzellen.
    Ich fiel der Länge nach auf die beigefarbene Auslegeware meines Arbeitgebers. Blau und wahrscheinlich glücklich.
    DIE MESSIAS Folge 2
    Exakt zu meinem 34 . Geburtstag bekam ich von meinem Vater die Unsterblichkeit geschenkt – und die Fähigkeit, stets und immer die Wahrheit zu erkennen. Das war seine Konsequenz aus den traumatischen Ereignissen rund um meinen Bruder. Dessen Schicksal sollte ich nicht teilen und verraten werden schon gar nicht.
    Aber Unsterblichkeit und ein Abonnement auf Wahrheit standen noch nie auf der Hitliste meiner größten Wünsche. Mir war von Anfang an klar: prima Geschenke, danke auch! Ich führte schon vorher nicht das Leben einer normalen Heranwachsenden in Nazareth, aber durch diese beiden Gaben wurde ich jetzt endgültig zum Alien. Frauen haben’s noch nie leicht gehabt, und es wird auch nicht leichter, wenn man eine Lüge, Finte oder plumpe Ausrede aus drei Kilometern Entfernung erkennt. Ob man will oder nicht. Nein, so ein Talent ist das Letzte, was eine Frau braucht. Heute wie damals. Ich weiß es genau, ich lebe seit fast zweitausend Jahren damit.
    Nach meinem Geburtstag machte ich mich auf eine lange Reise, die noch heute andauert, aber deren Ende mit jedem Tag näher rückt.
    Denn ich weiß nun endlich, was ich will. Ich will das Leben! Ein Leben, nur eins! Ganz und leidenschaftlich. Ich will belogen werden und selber lügen. Ich will Frau sein! Jetzt, sofort! Und auf keinen Fall mehr für immer!
     
    Ich sitze in dieser kleinen Altstadtkneipe in Köln, wo blaubekittelte Männer, die sich Köbes nennen, ungefragt sehr kleine Gläser mit Bier, das sie Kölsch nennen, auf den Tisch stellen, und Gästen, die nach einer Cola fragen oder einem Kaffee, sofort Lokalverbot erteilen. Köln ist ein Muss für Menschen, die eine heimelige Mischung aus Wohlfühlmetropole mit Hochwassergarantie und katholisch garantierter Narrenfreiheit suchen. Der Stadt eilt zudem ein extrem integrativer Ruf voraus. Nicht nur weil sich die Stadt innerhalb kürzester Zeit zum San Francisco der Republik gemausert hat, sondern weil die Wahrscheinlichkeit, auf der Domplatte einen Einheimischen zu treffen, so groß ist wie die Wahrscheinlichkeit von weißen Weihnachten in Gelsenkirchen und allein schon deshalb jeder Fremde mehr als willkommen ist. Ich dachte mir gleich, dass ich in dieser Stadt, zwischen architektonisch fixiertem Katholizismus und ganzjährigen Karnevalsvorbereitungen mit meiner speziellen Exotik gar nicht auffallen könnte. Jetzt aber falle ich ganz bestimmt auf, denn meine Wangen glühen für jeden sichtbar. Von hier bis Rosenheim.
    Vor mir sitzt Angelo, und ich schmachte ihn an. Diesen Mann kann man nicht beschreiben. Er ist einfach nur schön. Ein Italiener wie aus einer Schablone für perfekte Italiener. Süditaliener.
    Ich habe nichts an ihm entdeckt, was den geplanten Verlauf dieses Abends verhindern könnte. Angelo wollte sich wirklich mit mir treffen. Ein einziger Anruf, ein paar Nettigkeiten am Telefon, so selbstverständlich, als würden wir uns schon Ewigkeiten kennen, und jetzt ist er da. Angelo und der große Moment. Für Zweifel ist hier kein Platz. Ich interessiere ihn, und er
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