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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung
Autoren: Michael Gantenberg
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war es so. Und wenn nicht, wäre ich der Letzte, der so etwas zu korrigieren wagte.
    Masuch begab sich auf den Weg zu mir. Ich zwang mich zu einem Lächeln und schlug die Beine demonstrativ locker und entspannt übereinander. Die Blättersammlung, die Masuch in der Hand hielt, wirkte gewaltig und bedrohlich. Aber mein Lächeln hielt.
    »Wissen Sie, warum ich mich so genau an unser letztes Treffen erinnere?«
    »Ich denke schon.«
    »Sie denken?! Gut, Litten. Denken ist immer gut. Sehr gut. Ich will’s Ihnen trotzdem noch mal sagen.«
    Mein Lächeln war grundlos. Es war deplatziert, unangebracht, aber auch mit bestem Willen nicht zu ändern. Masuch war es nicht entgangen.
    »Sie lächeln! Schön, dass ich Ihnen Grund zur Freude gebe. Sehr schön.«
    Meine Augen signalisierten Panik, und mein Lächeln drückte das exakte Gegenteil aus. Hilfloser kann man sich nicht fühlen.
    »Wir haben über unsere Auflage gesprochen. Litten! Mein lieber Litten.«
    Der Papierberg verschwand hinter Masuchs kleinem Körper. Er stand nun so nah vor mir, dass ich ihm aus meiner Besuchersesselperspektive direkt in die Pupillen schauen konnte. Wir waren auf Augenhöhe, physisch jedenfalls.
    Und ich lächelte, als gäbe es kein nächstes Mal.
    »Maximale Identifikation, zeitgeistorientiert, nicht plump, aber auch nicht zu anspruchsvoll. In jedem Fall frauenaffin, polarisierend und provokativ ... Ihre Worte, Sie erinnern sich, Litten?«
    »Ja, ich äh ...«
    »Gut. Schön. Es war ja auch alles Ihre Idee! Daran muss man sich dann auch mal erinnern, was, Litten?«
    »Ja, das, äh ... kann man sagen.«
    »Schön, Litten, schön.«
    Masuch schaute mich eindringlich an. Ich schaute eindringlich durch ihn durch. Versuchte es wenigstens, was mir aber nicht gelang. Dafür hielt mein Lächeln noch immer.
    »Wissen Sie, warum ich Ihre
Messias
ins Blatt genommen habe?«
    Von mir kam ein Schulterzucken, eine Geste der Verzweiflung.
    »Weil ich Ihnen geglaubt habe. Weil ich mir vorstellen konnte, dass es da draußen wirklich Leser gibt, die so etwas wollen. Menschen, die sich schon beim Frühstück aufregen wollen oder begeistern, je nachdem, wie sie zu dem Thema stehen. Ihre Worte, Sie erinnern sich, Litten?«
    Oh ja, ich erinnerte mich. Ich erinnerte mich auch an den Tag, als Masuch sein Rundschreiben in alle Lokalredaktionen gebellt hatte. Entweder uns fiele was ein zum Auflagenschwund und seiner sofortigen Beseitigung, oder ihm fiele etwas ein, und das hätte mit Kahlschlag und ähnlich unangenehmen Dingen zu tun.
    Während meine Kollegen das übliche Programm von Geschenk-, Gutschein- oder Miniabo-Aktionen vorschlugen, hatte ich diese Idee eines Fortsetzungsromans, der deutlich und kontrolliert ambitioniert aus dem üblichen Muster ragen sollte. Ich hatte da so eine Geschichte im Kopf, einen Aufreger, ein Frauenthema, frisch erzählt, modern und originell. Mit nichts zu vergleichen. Natürlich nicht. Maßgeschneiderte Unterhaltungsware. Und schön frech.
    »Wissen Sie, was passiert ist, Litten? Nein, das wissen Sie nicht. Aber ich werde es Ihnen zeigen!«
    Der Papierberg wanderte mit einem plumpen Flatsch auf meinem Schoß.
    »Hundertachtundsiebzig Protest-Mails innerhalb von zehn Stunden, zwölf Abonnementkündigungen, zwei Faxe, eins von einem Landpfarrer aus Huntrup und eins von einer Hindugemeinschaft aus Erkelenz, weiß der Himmel, wie die an unsere Zeitung gekommen sind. Ich hab auch nicht verstanden, was die überhaupt wollen ... Ach, und ein anonymer Brief, von einer Frauenrechtlergruppe, die aber eher positiv schreibt. Immerhin. Wenn auch anonym. Respekt, Herr Litten, ganze Arbeit!«
    Endlich begriff auch mein Lächeln, dass es hier nichts mehr zu suchen hatte. Es verzog sich augenblicklich.
    »Und, Litten, was nun?«
    »Na ja, ich hab ja gesagt, das Thema ist heikel und ...«
    »Und ich habe Ihnen sogar noch erlaubt, unter Pseudonym zu schreiben.«
    Masuch tippte sich an die Stirn.
    »Das war sehr nett, Herr Masuch.« Zum ersten Mal schaute ich zu Boden.
    »Bella Gabor, pfft!«
    Der Name war eigentlich mit das Beste an meiner Idee. Ich ging einfach davon aus, dass nur eine Frau über eine Frau so schreiben kann, dass auch eine Frau davon ausgehen kann, als Frau richtig verstanden und dargestellt worden zu sein.
    »Mensch, Litten, was mach ich jetzt mit Ihnen?« Masuch wippte mit den Zehen und wuchtete damit seinen Körper in die Höhe. Direkt vor mir. So konnte er wenigstens für Sekundenbruchteile auf mich herabschauen.
    »Ich weiß es
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