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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung
Autoren: Michael Gantenberg
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nicht, vielleicht können wir noch den zweiten Teil nächste Woche abwarten?«
    »Den zweiten Teil? Abwarten?«
    Ich folgte dem wippenden Herausgeber, so gut es ging.
    »Nein, da warten wir nicht ab, Sie Bella Gabor!«
    Zwei Menschen auf dieser Welt wussten, wer Bella Gabor war, einer davon wollte mich nun entlassen. Gut, das war es dann. Paul Elmar Litten auf dem Weg ins Prekariat. Der Ex-Leistungsschwimmer und Ex-Single demnächst also auch als Ex-Redakteur. Bettina würde nach Gründen fragen, und mir fielen schon jetzt keine ein, die ich ihr hätte erzählen können. Ihr Mann war Bella Gabor und gefeuert, ich schloss die Augen bei der Vorstellung, ihr das zu beichten.
    »Sie fahren jetzt nach Hause und dann ...«
    Meine Augen bekamen einen traurigen Schleier.
    » ... dann fangen Sie an zu schreiben! Und zwar richtig. Wir gehen jetzt parallel mit einer ganz großen Anzeige auf Seite 3 an das Thema ran. Ganz groß. Cross-Promotion, aber knackig!«
    Ich verstand nicht. Seine Worte drangen wie durch eine dicke Wattewand in meine Ohren. Anzeige? Seite 3 ? Cross-Promotion? Knackig?
    »Wissen Sie, wann wir das letzte Mal so ein Feedback auf unsere Zeitung hatten?«
    »Äh ...«
    »Schon gut, Litten, ich weiß es ja selber nicht. Muss vor der Währungsreform gewesen sein. Mensch, Litten, da draußen passiert was! Diese Geschichte da, das geht! Das geht richtig!
Die Messias
, das blasen wir auf. Ich will, dass Sie da richtig Gas geben. Ich will das ganze Programm! Mensch, nun gucken Sie doch nicht so! Wir sind wieder im Rennen!«
    Es war kein Traum. Der Mann meinte es ernst. Der kleine arthritische Herausgeberfinger tippte diesmal an meine Stirn.
    »Ich will alles, was da drin ist. Alles!«
    »Alles?«
    »Ja, verdammt! Kommt auch noch Sex?«
    »Äh, eigentlich ...«
    »Gut, Sex ist gut. Sex sells. Aber nicht so dolle, muss alles im Rahmen bleiben, nicht nur wegen der Kinder und so. Wir sind eine Familienzeitung. Aber ... – ach, Litten, Sie machen das schon. Was, Litten ... soll ich Ihnen was sagen, bei mir sind Sie nicht nur Litten, sondern ab heute sogar: Wohl ge-Litten!«
    Masuch prustete los, während sein kleiner Körper zu einem schicken Designer-Sideboard am Rande seines Büros kugelte und eine sehr alte Whiskeyflasche aus der Dunkelheit beförderte.
    »Den haben wir uns verdient, Litten. Mein Litten!«
    Jetzt hätte mein Lächeln zurückkommen können, aber es blieb fern. Ausgerechnet jetzt, wo es endlich gepasst hätte.
    »Sagen Sie mal, Litten, wie geht’s da jetzt eigentlich weiter? Wird doch ’ne Liebesgeschichte, oder? Oder geht’s doch mehr so in Richtung Religion, Messias, der liebe Gott, das Ganze?«
    »Schwer zu sagen, es geht einerseits um ihre eigene Geschichte, also die von der Messias, andererseits auch um ihre Sehnsüchte, Wünsche und ... ja, irgendwie ist es eine Liebesgeschichte, so, das Ganze.«
    »Sex auch?«
    »Sex auch!«
    Dazu nickte ich bestätigend, weil ich es nicht wagte zu widersprechen. Dann trank ich meinen ersten Herausgeberwhiskey.
    Nach siebenundachtzig Minuten öffnete sich die Tür.
    Was Irene Radicz nun zu sehen bekam, konnte sie nicht erfreuen. Ein Lokalredakteur und ein Chef, Arm in Arm vor einer leeren Flasche.
    »Frau Radicz? Sagen Sie doch mal meinem Fahrer, dass er Herrn Litten nach Hause bringen soll!«
    »Nach Muenden?« Die Radicz kämpfte sichtlich um Fassung. Sie hatte nicht nur das böse Wort in den Mund nehmen müssen, sondern auch den Transport genau dorthin zu organisieren. Ein herrliches Gefühl, was durch den einzigartigen Whiskey angenehm befeuert wurde.
    »Muenden! Genau, da wohnt er doch, unser Litten!«
    Dann bekam die Radicz auch noch die Höchststrafe, denn das, was sie nun zu sehen bekam, kannte sie nur aus ihren sehr privaten Träumen.
    »Günter!« Masuch reichte mir die Hand.
    »Paul. Paul-Elmar.«
    »Weiß ich doch. Aber Paul reicht, was?«
    »Natürlich, Günter.«
    Aus meinem Herausgeber war ein Mann mit einem Vornamen geworden.
    Die Radicz war kalkweiß.
    Günter beugte sich zu mir, so nah, dass mir sein wahrscheinlich sündhaft teures Rasierwasser wie eine chemische Nadel direkt ins Gehirn stach.
    »Eins noch: keine Vergangenheit.«
    »Wie ... wie meinen Sie ... wie meinst du das?«
    »Gegenwart!«
    »Gegenwart?«
    »Präsens.
Die Messias
muss im Präsens sein.«
    Die Radicz starrte uns noch immer an wie ein fleischgewordenes Fragezeichen. Aber auch ich hatte Fragen.
    »Ich versteh nicht.«
    »Paul, die Geschichte muss uns berühren. Direkt,
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