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Neu-Erscheinung

Neu-Erscheinung

Titel: Neu-Erscheinung
Autoren: Michael Gantenberg
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Bettinas Blick machte Platz für das gesamte Spektrum an Fassungslosigkeit, das einer Mitarbeiterin der Katholischen Weiterbildungsstätte Östliches Westfalen widerfahren kann. Und das ist eine ganze Menge Fassungslosigkeit.
    »Was ich meine?«
    Die Wiederholung eines Satzes ist nicht gerade souverän, aber das darf man keinem sagen, den man mag.
    »Ich meine diesen ... Schrott hier:
Die Messias
! Geht’s noch?!«
    Eben noch hatte ich es nur geahnt. Jetzt wusste ich es. Bettinas Wut richtete sich gegen unsere neue Fortsetzungsgeschichte, die im überregionalen Teil »meiner« Zeitung von nun an erscheinen sollte.
    »Was soll das sein, Paul?
Sakrileg
für Arme? Geht es euch schon so schlecht, dass ihr so was ... in deiner Zeitung ...«
    »Ich weiß nicht, so schlimm finde ich das jetzt eigentlich ...« »Wenn das fortgesetzt wird, dann kündige ich deine Zeitung. Echt!«
    »Wir kriegen sie doch umsonst«, erklärte ich sehr vorsichtig.
    »Na und, das ist noch zu teuer! Ich abonnier deine Konkurrenz!«
    »Das Käseblatt?«
    »Ja, das Käseblatt! So was würden die mir nie zumuten! Echt! Ich bin katholisch!«
    »Ich doch auch.«
    »Aber mich trifft so was.«
    Mich nicht, dachte ich.
    »Damit hat deine Zeitung anscheinend kein Problem!«
    Ich auch nicht, streng genommen. Aber es war noch immer nicht meine Zeitung, es war nur meine Geschichte. Ich hatte
Die Messias
in die Welt gesetzt. Ich war ihr Vater. Paul Elmar Litten, 34 und leicht übergewichtig, Ex-Leistungsschwimmer und Ex-Single, Schriftsteller und Geheimnisträger. Denn wer diese Geschichte geschrieben hatte, wussten zu diesem Zeitpunkt nur zwei Menschen. Bettina gehörte nicht dazu.
    »Mensch, Paul, wer will denn sowas beim Frühstück lesen: ›Der erste Geburtsabschnitt, die sogenannte Eröffnungsperiode kann bei Zwillingsgeburten etwas länger dauern als bei einer normalen Geburt ...‹«
    DIE MESSIAS Folge 1
    ... er unterscheidet sich sonst aber kaum von einer ›einfachen‹ Geburt.
     
    Ich bin 34  Jahre alt, keine Mutter und noch nicht mal guter Hoffnung. Es hat sich einfach nicht ergeben. Und wenn, dann kam immer was dazwischen. Davor, dabei oder danach. Trotzdem weiß ich alles über Geburten. Theoretisch. An meine eigene Geburt kann ich mich genau erinnern. Gott weiß, warum.
    Meine Geburt war keine einfache Geburt. Und damit meine ich ganz bestimmt nicht diese rein gynäkologische Problematik. Ich rede von einer wirklich nicht einfachen Geburt. So was wie meine Geburt gab es danach nie wieder.
    Die Eröffnungsperiode ist der heikelste Zeitabschnitt der Entbindung. Oh ja, das ist sie. Niemand kann genau vorhersagen, wann sie zu Ende ist, auch wenn Mütter noch so sehr danach verlangen. Meine Mutter wusste noch nicht mal, was eine Eröffnungsperiode überhaupt ist, aber sie wollte trotzdem wissen, wann sie zu Ende ist. Aber außer meinem, nun ja, Vater, war niemand bei dieser Geburt dabei. Der Mann, der meiner Mutter die Hand hielt, war liebevoll, aber unerfahren. Sowohl was Geburtsbegleitungen als auch was ihre Erklärung und vor allem die Dauer betraf. Ich befreie ihn aber hiermit und ein für allemal von sämtlichen Vorwürfen, denn eigentlich hatte er mit der ganzen Sache wirklich nur am Rande zu tun.
    Mein Bruder, der Erstgeborene, sank tiefer und tiefer und drückte auf den Muttermund, was einiges nach sich zog. Zum einen glaubte meine Mutter, dass es nun endlich bald vorbei sein würde, und zum anderen sorgte mein Bruder durch das permanente Drücken für eine Ausschüttung der wehentreibenden Hormone Oxytocin und Prostaglandin. Davon hatte meine Mutter natürlich nicht die leiseste Ahnung, die Geschichte der Medizin steckte zum Zeitpunkt meiner Geburt noch in den Kinderschuhen.
    Mein Bruder erblickte ziemlich zügig das Licht der Welt. Unmittelbar danach erblickte er zwei sichtlich erleichterte Menschen. Seine Eltern – nun ja, fast. Er war aber nun mal kein Einzelkind. Was meine Mutter allerdings nicht ahnte – wie auch, Ultraschall und so was. Ich wartete geduldig auf meinen Einsatz. Mein Bruder war längst abgenabelt und auf Heu gebettet (ja-ha: Heu!), als ich noch immer auf meinen Einsatz und Sprung ins Leben wartete. Heute geht man davon aus, dass zwischen dem ersten Kind und dem Zweitgeborenen maximal eine Stunde liegt. Ich war der Gegenentwurf! Ich wartete ganze 24 Stunden. Als Einzige. Denn meine Mutter war eigentlich fertig mit dem Thema. Und mein, nun ja, Vater übte das Vatersein.
    So ist es auch kein Wunder, dass die Welt von
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