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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn
Autoren: Marcia Muller
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sprechen konnte, fragte ich: »Wann hat er dich hierher
gebracht?«
    »Er... ich bin selbst gekommen.«
    Der Knoten war jetzt ein bißchen
lockerer. »Warum?«
    »Dolly. Hinter Dolly her. Ich wußte
Bescheid. Ich hatte gesehen. Früher schon. Ich hatte sie gesehen.« Er brach ab,
keuchte. »Ich kam nach unten. Dahin, wo sie immer gewesen waren. Ich suchte,
aber da waren nur Lampen. Sie waren nicht da.«
    »Und dann?« Der Knoten löste sich, ganz
langsam.
    »Dann ist er — « Duc brach ab, und ich
sah seine plötzliche Panik. Seine heisere Stimme schrie: »Passen Sie auf!«
    Ich ließ ihn los und wirbelte herum,
griff nach meiner Pistole.
    Jimmy Milligan stand im Eingang zur
Flüsterkneipe.
     
     
     

VIERUNDZWANZIGSTES
KAPITEL
     
    Jimmy stand ganz still, die Beine
gespreizt, die Hände zu Fäusten geballt. Der Strahl meiner Taschenlampe, der
von dem staubigen Spiegel hinter der Bar reflektiert wurde, zeigte, daß sein
Gesicht mehr entsetzt als wütend aussah.
    Ich hob die Waffe und stand langsam
auf, wobei ich mit meiner freien Hand beruhigend Ducs Schulter drückte.
    Jimmy starrte auf die Pistole. Sein Entsetzen
wandelte sich in Überraschung, dann in Angst. Mit einer flehenden Geste hob er
die Hände und sagte: »›Wirf einen kalten Blick... aufs Leben, auf den Tod...
Reiter, zieh vorüber.‹«
    Die Worte mußten von Yeats stammen, und
die Antwort war, wie meistens bei Jimmy, ein wenig schief. Aber nun, da ich
wußte, daß die Gedichte, die er sich als Zitat aussuchte, seine Wirklichkeit
nachdenklich, wenn auch ein wenig schief Wiedergaben, konnte ich verstehen, was
er sagte.
    Sanft erklärte ich: »Es ist schon gut, Jimmy.
Der dunkle Reiter wird vorüberziehen. Ich werde dich nicht töten. Genauso, wie
du Duc nicht töten wolltest.«
    Sein Blick wanderte zu dem jungen Mann
auf dem Boden. »›Komm mit, o Menschenkind... zu den Wassern und...‹«
    Es war das Gedicht, das mir verraten
hatte, daß Jimmy Duc entführt hatte — Yeats’ »The Stolen Child«. Er hatte
diesen Refrain an dem Morgen zitiert, als Bruder Harry vor dem Sensuous
Showcase Theatre seinen Wortschwall losgelassen hatte. Und er hatte geweint,
wahrscheinlich, weil die Entführung eine Tat war, derer er sich schämte.
    »›Komm mit — ‹«, sagte er wieder.
    »Wir kommen, Jimmy«, versprach ich.
»Wir werden alle zusammen fortgehen, du und ich und Duc.«
    Er sah mich wieder an, aber sein
Gesicht war jetzt ruhiger. »Wohin?«
    »Wohin würdest du denn gern gehen?«
    »›The lake isle of Innisfree?‹«
    Es war der Titel eines anderen
Gedichtes von Yeats. »Für mich hört sich das gut an.« Ich warf einen Blick auf
Duc. »Kannst du aufstehen?«
    »Ja.«
    Ich hielt die Pistole noch immer auf
Jimmy gerichtet, als ich Duc jetzt auf die Beine half. Er war unsicher und
lehnte sich an die Ecke der Bar, um eine Stütze zu haben.
    »Es ist hübsch da«, sagte Jimmy.
    »Ich bin sicher, daß es das ist.«
    »Ihr könnt mir helfen, meine Hütte aus
Gitterwerk und Ton zu bauen. Ich werde Bohnen anbauen und Bienen halten. Und
Frieden finden.«
    »Das ist gut, Frieden finden.« Ich
wollte ihn ruhig halten, und er sollte weiter reden, bis Duc laufen konnte.
    »Ja. In Innisfree können wir
Frieden finden. Das hat Yeats gesagt: ›Und ich werde dort Frieden finden, denn
der Friede kommt langsame«
    »Dann werden wir genau dort hingehen -«
Ich brach ab, weil ich jenseits der Tür zur Flüsterkneipe ein Geräusch hörte.
Es klang wie kräftige Schritte, die einen der Gänge entlangkamen.
    Jimmy hatte es auch gehört. Sein Kopf
zuckte nach links, und er lauschte angespannt.
    Die Schritte erreichten den Raum vor
der Tür und verstummten. Das konnte nicht die Polizei sein; noch war nicht
genug Zeit vergangen...
    Langsam ging ich auf Jimmy zu. »Erzähl
mir mehr von dieser Isle of Innisfree.«
    Seine angsterfüllten Augen wandten sich
wieder mir zu.
    »Erzähl es mir, Jimmy. Was hat Yeats
über den Frieden gesagt?«
    Aber diese Schritte hatten ihn in die
Wirklichkeit zurückgerufen. Er stieß einen unartikulierten Laut aus und
wirbelte auf die Tür zu — gerade als ein Mann hindurch- und die Treppe
hinabstolperte.
    Don.
    Ich hätte ihn am liebsten angeschrien,
ihm die Pistole an den Kopf geworfen. Statt dessen sagte ich: »Ist schon gut,
Jimmy. Er ist ein Freund —«
    Don schaute von mir zu Jimmy und wieder
zurück. Ich erkannte, daß er gar nicht richtig begriff, was hier vor sich ging.
Instinktiv duckte er sich, bereit, Jimmy anzuspringen.
    Jimmy
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