Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
dort
früher eine Flüsterkneipe gegeben haben sollte. Aber das ist eine alte
Geschichte, und niemand hat daran geglaubt, außer mir. Aber ich hatte den
Glauben, und ich habe sie gefunden. Sie hat mir gehört. Sie war mein Heim.«
    Ich wartete einen Moment, ehe ich
sagte: »Warum gehen wir nicht dorthin zurück?«
    »Nein.« Er schüttelte heftig den Kopf.
    »Warum nicht?«
    »Das ist nicht mehr mein Heim.«
    »Warum nicht?«
    »Weil jetzt alle davon wissen. Sie
werden es mir fortnehmen, genau wie alle meine anderen Heime. Zuerst dachte
ich, es würde alles gutgehen. Die Makler kamen mit unzähligen Fremden. Aber sie
wußten nichts von All Souls Night, und sie machten mir nicht viel aus. Die
kamen nie ein zweites Mal wieder. Aber dann brachte einer von ihnen Mr. Knox.
Ich mochte Mr. Knox; er war immer nett zu mir gewesen; aber er kam immer wieder
und wieder. Und dann kam er ohne den Makler und hatte die Schlüssel. Und er
ließ den Strom anschließen. Und er brachte dieses Mädchen.«
    »Dolly Vang.«
    »Ja.« Er nickte mit dem Kopf auf und
nieder. Ich zuckte zusammen bei dem Vibrieren, das seine Bewegungen auslösten.
    »Und Dollys Bruder und seine Freunde
folgten ihnen. Das hieß, daß sogar noch mehr Leute ins Theater kamen.«
    »Ja, aber sie waren schon früher hier
gewesen. Sie hatten meinen Weg in den Keller entdeckt und kamen jetzt, um ihn
zu untersuchen. Ich mußte sie verjagen. Ich mußte mein Zuhause verteidigen.«
    »Also hast du sie erschreckt, indem du
die Unruhe im Globe Hotel gestiftet hast.«
    Er klammerte sich an den Pfeiler,
starrte nach unten. »Ich dachte, wenn sie dort Probleme hätten, würden sie das
Theater hier vergessen.«
    »Aber das taten sie nicht.«
    »Nein.«
    »Und du hast sie weiterhin erschreckt.«
    »Ja.«
    »Und als du es das letztemal versucht
hast, hat Hoa Dinh dich im Heizungskeller überrascht. Und du hast ihn mit
irgend etwas niedergeschlagen.«
    »Mit einem Rohr, das dalag. Ich hab’ es
dann mitgenommen und in einen Abwasserkanal geworfen. Ich wollte ihn nicht
umbringen; ich habe mich nur verteidigt.« Er fing wieder an zu schluchzen.
    Ich hörte das Heulen einer Sirene — gedämpft,
aber nicht weit fort. »Jimmy, laß uns nach unten gehen, zu AU Souls Night.«
    »Nein. Das ist nicht mehr mein
Zuhause.«
    Ich zögerte. Dann bewegte ich mich
langsam über die Planke vorwärts. »Jimmy, Duc wartet dort. Er möchte mit uns
zur Isle of Innisfree gehen.«
    »Das kann er nicht. Alle suchen nach
ihm. Sie haben dafür gesorgt, mit dieser Radiosendung. Ich habe angerufen,
wissen Sie.«
    »Ich weiß.« Ich schob mich weiter
zentimeterweise vorwärts, ohne nach unten zu schauen.
    »Wie kann er mit uns gehen, wenn alle
nach ihm suchen?«
    »Wir schleichen uns heimlich fort. Sie
werden es nie erfahren. Wir helfen dir, deine Hütte zu bauen und die Bohnen zu
pflanzen — «
    Er hob den Kopf und starrte mich durch
das dämmrige Licht an. Ich stand ganz still, ich wollte ihn nicht erschrecken.
    »Ja, wir werden die Bohnen pflanzen.
Und uns um die Bienen kümmern. Und wenn wir damit fertig sind, gehen wir in den
Wald und schnitzen uns Stöcke für unsere Angelruten. Ich habe das mal gemacht,
wissen Sie. Ich ging hinaus und schnitt mir einen Stock zurecht und spießte
eine Beere darauf.«
    Ich erkannte, daß Jimmy sein
Lieblingsgedicht, ›The Song of Wandering Aengus‹, interpretierte, und war
erleichtert. Er kehrte in seine Traumwelt zurück — oder vielleicht in seine
Realität. Ich schob mich weiter langsam über die Planke auf ihn zu. »Und was
hast du dann getan?«
    »Ich habe gewartet, bis die Motten und
Sterne herauskamen, und dann ging ich zum Strom und habe gefischt.«
    »Hast du etwas gefangen?« Ich war nur
noch sechs Fuß von ihm entfernt.
    Jimmy schien sich meiner Annäherung
ebensowenig bewußt zu sein wie der Entfernung zur Bühne. »Ja. Eine Forelle.
Eine kleine, silberne Forelle.«
    Jetzt hörte man Geräusche aus der
Eingangshalle. Ich wurde steif vor Angst, aber Jimmy starrte weiter in die
Schatten hinein, hatte seinen Blick auf seine andere Welt gerichtet.
    »Und was ist dann passiert?« Ich war
noch drei Fuß entfernt.
    »Sie hat sich in ein Mädchen
verwandelt. Ein schimmerndes Mädchen. Sie rief meinen Namen. Sie rannte fort.«
    Er war in Reichweite. Die Geräusche
unten wurden lauter.
    »Sie hatte eine Apfelblüte im Haar«,
erzählte Jimmy.
    Ich rückte das restliche Stück vor und
packte seinen Arm, nicht fest. Er sah mich überrascht an und fügte hinzu:
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher