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Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Titel: Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
Autoren: Else Ury
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Lüttgenheide beim Großonkel Klaus war, drollige Briefe über das Gutsleben. In deren Mittelpunkt stand Vetter Horst, zu dem sie eigentlich »Onkel« sagen sollte. Aber das fiel ihr gar nicht ein. Er war erst zwanzig Jahre alt, der jüngste von Onkel Klaus' vier Söhnen. Mit Vetter Horst, der seinen Urlaub gerade daheim verbrachte, ritt und segelte sie, spielte sie Tennis und Golf. Auch die Enkelkinder des Großonkels, die Kinder seines Sohnes Peter, der das Gut jetzt bewirtschaftete, nahmen daran teil. Ebenso die auf Grotgenheide aufwachsende jüngere Generation. Es war ein lustiges Leben an der Waterkant - ob Marietta nicht Lust hätte, nachzukommen.
    O ja, Lust hatte Marietta schon, große Lust. Aber sie fühlte, wie froh ihre Gesellschaft die Großmama machte. Und der Großpapa, wenn sie neben ihm saß, vergaß seine Praxis, die er nicht ausüben konnte, vergaß das Grübeln über seine Krankheit. Nein, sie blieb bei den Großeltern.
    Mit Eberts, die in diesem Sommer nicht gereist waren, machte sie häufig Wanderungen in die märkischen Wälder und zu den Seen. Onkel Georg war ein trefflicher Führer, der seine Begleiterinnen als begeisterter Wanderer auf alle Wunder der Natur aufmerksam machte. Mit Gerda verband sie bald eine innige Freundschaft. Gerda, das stille, zurückhaltende Kind, liebte die brasilianische Kusine, ohne daß sie davon viel Worte machen konnte. Auch an Regentagen saß Marietta in dem gemütlichen, aber einfachen Lehrerheim am Wedding. Es macht ihr Spaß, mit Gerda gemeinsam beim Onkel das ihr fehlende Schulwissen zu ergänzen, noch mehr, der Tante Vronli in der Wirtschaft zu helfen. Marietta, das verwöhnte Prinzeßchen aus dem Tropenland, lernte bei der praktischen Tante spielend zusammen mit der Kusine das Abc der Küche. Denn bei den Großeltern in Lichterfelde hatte sich Marietta noch nie so recht betätigen können. Allenfalls half sie der Großmama Obst und Gemüse ernten und vorrichten. Sobald sie Frau Trudchen zur Hand gehen wollte, kam sicher Homer dazwischen und beteuerte, er werde das machen. Donna Marietta dürfte die zarten, weißen Hände nicht zur Arbeit gebrauchen. Aber noch mehr lernte Marietta von Tante Vronli. Diese nahm sie mit in ihre Kleinkinderkrippen, in die Kinderhorte und Volksküchen. All die Wohltätigkeitseinrichtungen, in denen Tante Vronli unermüdlich wirkte, lernte die junge Brasilianerin kennen, und mehr als je regte sich in ihr der Wunsch, sich später einmal auf sozialem Boden zu betätigen.

Unerwartet
     
    Es war an einem sonnigen Augusttag. Reseda und Levkojen dufteten. Geheimrats saßen beim Nachmittagstee unter der Linde. Frau Annemarie hielt eine weiße Strickarbeit zwischen den Händen. Aber ihr Blick wanderte immer wieder zu ihrem Manne hin. Hatte die erste Sprechstunde ihn auch nicht angestrengt?
    »Was schaust denn, Weible? S'ist halt nit mehr viel an dem alten morschen Kerl zu sehen.« Der Geheimrat war aufmerksam geworden.
    »Mir gefällt er noch immer und heute ganz besonders. Wirklich, Rudi, du siehst viel frischer aus als die Tage zuvor.«
    »Gelt?« triumphierte der alte Herr, »das macht nur die Praxis. Laßt mich in meine Klinik, da werd' ich schneller gesund als in solcher Zwangsanstalt von Sanatorium, in das ihr mich stecken wollt. Aber ich werd' dem Kollegen was husten. Ich denk' gar nit daran. Meine Freiheit lass' ich mir von zehn Kollegen nit rauben.«
    »Aber von deiner Frau, nicht wahr, mein guter Mann? Wenn ich dich bitte, bist du vernünftig. Schon meinethalben. Meine Nerven streiken auch nach der bösen Zeit.« Sie blickte ihn bittend an.
    »Nun schau einer diese Evastochter an. Jetzt soll wohl gar ich noch zu deiner Begleitung und Gesellschaft mit ins Sanatorium? Na, wir werden halt sehen.«
    Frau Annemarie war mit dieser Antwort zufrieden. Er polterte und er schmunzelte wieder - nun ging es aufwärts. Zum ersten Mal fühlte sie den Alpdruck, der ihr die ganzen schweren Wochen auf der Brust gelegen hatte, weichen. War das ein schöner Tag heute! Die Enkelinnen waren mit Lottchen und Homer in den Zoologischen Garten gezogen, Jimmy zu besuchen.
    Der Geheimrat hatte sich in seine Zeitung vertieft, Frau Annemarie in ihr Strickmuster. Still und friedlich lag der Garten in der Sonne. Irgendwo sang eine Amsel. Die Levkojen dufteten.
    Unweit an der nächsten Straßenecke hielt ein Auto. Eine schlanke, blonde Dame, ein kleiner ebenso goldhaariger Knabe entstiegen ihm. Der Chauffeur wurde bezahlt. Die Dame schritt langsam mit dem
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