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Neobooks - Transalp 8

Neobooks - Transalp 8

Titel: Neobooks - Transalp 8
Autoren: Marc Ritter , CUS
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lostreten können, gab es kaum – zu steil war der Fels, zu viele Bergsteiger hatten alles abgeräumt, was noch übrig war. Immerhin konnte sich Spindler mit Vergnügen erleichtern. Dann sah er auf seinen Höhenmesser. Der meldete jetzt nicht mehr fünfunddreißig Meter zu hoch, sondern sechzig Meter. Was Spindler vorhin erschreckte, ließ jetzt einen kühnen Plan in ihm reifen. Er ließ sich noch etwas mehr Zeit. Die anderen hatten sich wegen seiner körperlichen Verrichtungen etwas zurückfallen lassen. Du musst den richtigen Augenblick erwischen. Warte bloß nicht zu lang, gleich muss das Gewitter da sein. Und warte nicht zu kurz, sonst erwischen sie dich am Ausstieg.
    Zwar war der kleine Ausschnitt Himmel, den er senkrecht über sich sehen konnte, immer noch blau, doch was dahinter war, was von Südwesten heranzog, das sah man hinter dem Felsturm nicht. Das sah man erst, wenn es da war. Und dann war es zu spät. Siebzig Meter meldete der Höhenmesser, achtzig Meter, neunzig Meter. Der Luftdruck sank rapide. Es musste ein gewaltiges Gewitter im Anmarsch sein, und es kam rasch. Seine Haare hoben sich – elektrostatische Aufladung. Die Nadel stieg so schnell, dass man ihr zusehen konnte: hundert Meter, hundertzehn Meter. Jetzt! Blitzschnell stürzte sich Spindler auf die letzten Meter des Klettersteigs, bog links ab zur Hängebrücke hinunter, sah die violett-schwarze Wolkenwalze auf sich zurollen, lief auf die Brücke, im Draht surrte die Spannung wie ein Stromgenerator, die Wolke war heran, mittendrin im Hochgewitter über die Brücke gesprintet, auf der anderen Seite zwei kurze Drahtseilstücke, Funken stoben über den Fels. Rumms!, krachte der erste Blitz drüben in den Felsturm. Es stank nach Schwefel. Er hechtete auf gangbares Gelände. Er sah die drei dort unten mitten in der schwersten Stelle stecken, sein Zwischenspurt hatte sie wohl überrascht, und sie hatten nicht sofort reagiert. Da schlug der Wolkenvorhang zu, überall krachte es, überall Funken, das Elmsfeuer sprang ihm vom Knie zum Schuh. Spindler lief um sein Leben. Die Blitze und der Regen lösten Steinschlag aus. Endlich erreichte er sicheres Gelände. Immer noch war es furchterregend. Immer noch großartig, wenn man einen Sinn für so etwas hatte. Mitten in der Gewitterfront zu stecken und nicht wie normalerweise drei Kilometer darunter im Flachland, war eine der größten Urgewalten, die der Planet zu bieten hatte. Wenn man dann noch am eisernen Blitzableiter festgebunden war wie die drei dort unten … Wirklich nur etwas für ärgste Feinde.
    Boè-Hütte, 18.45 Uhr
    Die Höhe von knapp dreitausend Metern ließ außer Flechten kein Pflanzenwachstum zu. Die Boè-Hütte stand wie eine Mondstation auf blankem Fels. Sie wurde in der einen Richtung von einem Zacken überragt, der wie eine Pyramide in Gizeh aussah. Und in der anderen von einem runden Gupf, der wie ein hässliches Furunkel eine von Menschen gebaute Antenne auf seiner höchsten Stelle trug. Das war der Piz Boè, die höchste Erhebung der Sellagruppe. Karg wie die Mondlandschaft ringsumher waren auch die Hütte und ihr Innenleben im Vergleich zu den Einrichtungen der österreichischen Bergunterkünfte. Stephanie Gärtner reservierte zwei Betten in einem der Lager, dessen braun lackierte Metall-Stockbetten sie an die Jugendherbergen erinnerten, in denen sie in den 1980ern ihre Sommerferien verbracht hatte. Sie stellten die tropfnassen Rucksäcke ab und ließen sich in der Stube nieder. Mittlerweile hatte die stechende Sonne die Wolken aufgelöst. Vom Westen her drängten neue dunkle Wolken. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die Sellagruppe erreichen und in ihre nasse Watte packen würden.
    »Na toll, Anselm. Hast du gehört, was die am Nebentisch gesagt haben?«
    »Ich lausche nicht.«
    »Leider schaust du auch nicht. Es gibt einen Weg, auf dem man nur zwei Stunden hier rauf braucht. Und der geht auch noch bergab. Irgendeine Bergbahn führt weiter südlich auf einen Gipfel, von dem aus es hier rübergeht.«
    »Habe ich nicht gesehen auf der Karte. Aber beeindruckend war der Weg durch das Mittagstal doch. Wir sollten uns einen Wanderführer der Dolomiten kaufen«, gab Plank zurück und verschwand in der Hütte. Er hatte nicht nur vor, hier ein Buch zu erstehen. Er musste auch in Erfahrung bringen, was Kollege Theo Koralis ermittelt hatte. Er verzog sich in eine Ecke der Gaststube und holte sein Mobiltelefon aus der Hosentasche.
    »Servus, Theo. Ich bins, der Anselm.«
    »Servus.
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