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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs
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vergangenen Stunden erlebt hatten, und ich musste mich beherrschen, um der erneut aufkeimenden, euphorischen Lust nicht einfach nachzugeben und ihr die Kleider vom Leib zu reißen.
    Vielleicht hatte Ellen doch nicht ganz Unrecht mit ihrer vorschnellen Diagnose, und möglicherweise war der Befund Hirntumor überhaupt nicht das Schlechteste, was mir passieren konnte. Immerhin hätte er mich vor mir selbst rechtfertigen können, und wenn ich Glück hatte, war es mit ein paar Stunden im Operationssaal eines Spezialisten für solche Erkrankungen wieder getan, sobald ich hier heraus war. Diese Vorstellung war eigentlich eine deutlich angenehmere, als mir auszumalen, wie ich für den Rest meines Lebens in einer geschlossenen Psychiatrie vor mich hin vegetierte.
    »Komm.« Judith hatte meine unangemessene Erregung offenbar bemerkt. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden, als sie mich eine Armlänge weit von sich wegschob und mir bedeutete, ihr in das Aktenlager zu Ellen zu folgen. »Das hier ist wirklich kein Platz, an dem man überhaupt nur eine Sekunde seiner Zeit verschwenden sollte. Außerdem wollten wir nach einem Ausgang suchen.«
    Ohne sich zu vergewissern, dass ich ihr folgte, betrat sie den angrenzenden Raum, und ich ließ noch einen zögerlichen Augenblick verstreichen, den ich benötigte, bis ich mich endgültig gefasst genug fühlte, um einer möglichen weiteren Konfrontation mit Ellens Theorien standhalten zu können, ehe ich die Halle ebenfalls durchquerte und den Lagerraum betrat, der, wie ich auf den ersten Blick feststellte, nur unwesentlich kleiner als die Halle der Forschungssammlung I, wenn nicht gleich genauso groß war. Mehrere vergitterte Lampen unter der Decke tauchten die meterlangen Stahlregale und die, wie es mir schien, tausenden von schwarz-grauen Aktenordnern, Papierbündeln und braunen Heftordnern, mit denen die Halle bis schier zum Zerbersten gefüllt war, in milchig weißes Licht. Einige der Ordner schienen extrem alt und waren so abgegriffen, dass sie nur noch von Klebeband zusammengehalten wurden. Viele der vergilbten, dünnen Pappordner waren mit Paketband zu ordentlichen, gleich großen Bündeln zusammengeschnürt worden, die mehr als zwei der mindestens fünfzehn gewaltigen Regale ausfüllten. Doch je weiter ich mit unsicheren Schritten in die mächtige Halle vordrang, desto neuwertiger erschienen mir die Dokumentenmappen und mit irrsinnig langen Zahlencodes versehenen Ordner. Einige erweckten sogar den Eindruck, erst vor sehr kurzer Zeit hier untergebracht worden zu sein.
    Auch dieser Raum war für einen auf den ersten Blick verlassen wirkenden Keller unverhältnismäßig sauber gehalten, wenn auch nicht ganz so steril wie der Saal, den wir zuvor betreten hatten.
    Aber die Tonnen von Papier, die den Raum ausfüllten, hatten jegliche Feuchtigkeit aus der Luft gefiltert, sodass sie unangenehm trocken war. Sie kratzte mir in der Kehle, juckte in der Nase und brannte in den Augen. Der Durst, der mich schon seit längerer Zeit quälte, erreichte ein Niveau, auf dem er schon fast körperliche Schmerzen bereitete, und die abgestandene, trockene Luft fachte das peinigende Feuer weiter an, das noch immer hinter meiner Stirn brannte. Unbehaglich blickte ich mich nach einem weiteren Durchgang um, nach dem Ausgang, nach dem meine Seele so sehr flehte und den ich wenigstens vage von hier aus erreichen wollte, als ich Ellen dazu überredet hatte, zur letzten Gabelung vor der Anatomiesammlung II zurückzukehren und in die entgegengesetzte Richtung von jener zu gehen, die Carl uns einzuschlagen gezwungen hatte. Aber ich suchte vergeblich. Wohin ich den Blick auch wandte, entdeckte ich nichts als Pappe, Papier und noch mehr Papier, gestapelt, aufgereiht und gehäuft auf stählernen Regalböden, die sich mit den Jahren unter ihrer Last leicht nach unten gewölbt hatten.
    Dafür aber entdeckte ich etwas anderes, was mir entgangen war, als ich das Lager betreten hatte: Unweit des Eingangs gab es einen schlichten, aber stabil wirkenden, kleinen Schreibtisch, auf dem eine zusätzliche Lampe mit verstellbarem Teleskopfuß stand. In ihr brannte eine winzige, aber sehr helle Glühbirne. Daneben stand ein mindestens ebenso modern wirkender Flachbildschirm, welcher zu einem kaum schminkkoffergroßen PC gehörte, der zu Ellens Füßen, die bereits auf dem verchromten Bürostuhl vor dem Tisch Platz genommen hatte, auf dem Boden stand. Sie hatte den mit Sicherheit sündhaft teuren und enorm
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