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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs
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dieser Exponate zu tun haben. Bestimmt nicht. Aber eine leise Stimme in meinem Inneren, die völlig entnervt klang über die Sturheit, mit der ich das viel Wahrscheinlichere zu verdrängen suchte, sagte mir, dass dem nicht so war.
    Dieser Raum hier wurde eindeutig noch genutzt. Und ein beachtlicher Teil der hier ausgestellten menschlichen Gehirne stammte mit Sicherheit nicht aus dem Dritten Reich, sondern aus der heutigen Zeit, aus dem aktuellen Jahrzehnt. Vielleicht sogar aus diesem Monat?
    Ich versuchte, diesen Gedanken nicht weiter zu verfolgen. Das Bewusstsein darüber, dass hier mehr als hundert Gehirne in Glaszylindern aufbewahrt wurden und demnach wohl ebenso viele Menschen für irgendein wahnwitziges Forschungsexperiment ermordet worden waren, war schon für sich allein genommen kaum zu ertragen. Ich musste mir nicht noch vorstellen, dass dieses fragwürdige Forschungsprojekt möglicherweise auch über sechzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches noch fortgesetzt wurde. Wenn ich mir das vorstellte, würde ich mir sicher noch den Rest geben und wahrscheinlich schreiend aus dem Raum stürzen und verzweifelt versuchen, über die meterhohen, steilen Mauern der Burg zu klettern, mir dabei den Hals brechen und von den Irren, die anscheinend noch immer hier verkehrten, im Hof aufgelesen, zerteilt und ebenfalls hier unten ausgestellt werden, nachdem sie mir das Gehirn aus dem Schädel gesäbelt und eine pinkfarbene chemische Substanz in die Augen gejagt hatten, weil arisch vielleicht gerade out und richtig bunt derzeit gerade hipp war und – Stopp! Bleib auf dem Teppich, Frank, rief ich mich selbst zur Räson, schloss für einen kurzen Augenblick die Augen und bemühte mich angestrengt, an irgendetwas anderes zu denken, an etwas, das nichts mit diesem grauenhaften Labyrinth und den zuvor schon in der Burg erlittenen Schrecken zu tun hatte. An mein Zuhause in den Vereinigten Staaten, an mein spartanisch, aber gemütlich eingerichtetes Wohn- und Schlafzimmer mit der hochleistungsfähigen HiFi-Anlage, deren Surround-Boxen an den Wänden ringsum angebracht waren, ähnlich denen im so genannten Schallraum ... Nein, vielleicht doch lieber an Judith, an die unbeschreiblich intensiven Zärtlichkeiten, die wir miteinander ausgetauscht hatten und wie auf einmal miteinander verschmolzen war, was immer zusammengehört hatte, ohne dass einer von uns es geahnt hatte.
    An ihre warme, samtweiche Haut und ihre zärtlichen Finger, mit denen sie sich an mich und den Waschtisch des Duschraumes geklammert hatte, ehe Carl mich kurz darauf in einem Anfall von Rachlust und Neid über mein Glück niedergeschlagen und Maria sich auf den Zinnen des Turmes erschossen hatte ...
    Es klappte nicht. Ich gab auf, öffnete die Augen wieder und stellte fest, dass Ellen, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, damit begonnen hatte, voll brennendem Interesse jeden einzelnen Zylinder in den kleinlich polierten Glasvitrinen zu begutachten. Judith folgte ihrem Tun mit sichtlichem Unbehagen im Blick und tänzelte dabei nervös auf der Stelle, als müsste sie dringend zur Toilette; vielleicht war es ja auch so. In den Schrecken dieser Nacht waren schließlich einige nur allzu menschliche Bedürfnisse deutlich zu kurz gekommen. Ich nahm sie in den Arm.
    »Wisst ihr, was allen Präparaten hier gemein ist?«, fragte Ellen schließlich, ohne eine Antwort zu erwarten. »Es befindet sich ein Tumor im Gehirn. In allen. Seht ihr?« Sie trat an unsere Seite und deutete auf einen der Zylinder.
    »Meistens kann man die Tumorbildung im Bereich des Lobus frontalis erkennen. Des Stirnlappens im Großhirn«, fügte sie in einem Tonfall hinzu, der uns wissen ließ, dass sie uns für ungebildetes, primitives Pack hielt, dem man selbst die einfachsten Dinge noch erklären musste, wobei sie sich in der Rolle der Lehrmeisterin aber insgeheim rundum wohl fühlte. Dann aber trat ein durch und durch ernster, auf einmal gar nicht mehr überheblicher, sondern zutiefst erschrockener Ausdruck in ihr Gesicht. »Diese Tumore liegen direkt hinter der Stirn«, sagte sie leise, und auf einmal schien sie um ihr Gleichgewicht ringen zu müssen. Jedenfalls stützte sie sich mit beiden Armen an dem gläsernen Schaukasten ab und senkte den Kopf mit geschlossenen Augen einen Moment lang auf die Brust, um langsam und bewusst tief ein- und auszuatmen. Die Ärztin zitterte.
    Es dauerte einen Augenblick lang, ehe ich begriff, worauf die Medizinerin mit ihren Worten abgezielt und
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